Die Wolkenkinder
ungeduldig hervor und erntete einen missbilligenden Blick Randolfs.
Die Almwiesen hinab, das überwältigende Bergpanorama des Vorarlberg hinter sich lassend, ging es Richtung Salzkuhlen. Jeder eilige Schritt ein Risiko, denn es ging unter der üppigen Vegetation über Stock und Stein, einen Weg gab es schließlich nicht. Der Abend nahte und die erreichten Bergwälder taten ein Übriges, um den eiligen Jungs und ihrem Begleiter das Licht und damit die Sicht zu nehmen. Man stolperte von einem Loch zur nächsten Wurzel, wollte aber nicht einsehen, dass man heute sein Ziel nicht mehr erreichen würde. Lothar war mit seinen spärlichen Kräften schon längst am Ende und bereits mehrfach gestrauchelt, was die anderen allerdings nicht bemerkten, da er ständig ein gutes Stück hinterherhinkte. Seine Fessel schmerzte höllisch, aber an ihm sollte es nicht liegen, wenn die Hilfe für die Salzmänner zu spät kommen sollte, also schwieg er tapfer und schleppte sich verbissen den anderen hinterher. Plötzlich ein Rumms, geradezu ein Knall!
„Donnergrollen!“ stellte Anselm mit ernster Miene fest und taxierte die Gefahr, die vom Himmel ausging, der mittlerweile schwarz-blau eingefärbt und zwischen den Tannenkronen kaum noch zu sehen war.
„Das war’s dann!“ zog Randolf ein langes Gesicht. „Heute wird das nichts mehr! Wir müssen dringend einen Unterschlupf für die Nacht finden!“
Anselm, der die Gefahr der Lage mittlerweile abgeschätzt hatte, stimmte zu: „Das sieht gar nicht gut aus! Da baut sich ein riesiges Gewitter auf. Die Wolken haben sich anscheinend an den Bergen gestaut, kommen nicht darüber hinweg und von hinten stossen neue nach. Das gibt jede Menge Regen, was zu wilden Sturzbächen führen wird, wo jetzt noch ein Rinnsal fließt! Solche Wassermassen können leicht einen gestandenen Mann wie eine Holzpuppe ins Tal reißen!“
„Und denkt an die Blitze!“ ergänzte Lothar augenaufschlagend und mit gehobenem Finger, der sich gerade erst wieder zur Gruppe geschleppt hatte und froh war, das seine Leidenszeit vorüber sein würde, ohne dass er sich die Blöße hatte geben müssen, um eine Pause bitten zu müssen.
„Wie siehst du denn aus!“ fuhr Randolf von seinem Baumstumpf hoch, auf den er sich gesetzt hatte, als er in Lothars völlig ausgemergeltes Gesicht blickte. „Du bist ja total fertig, Mann! Warum hast du denn nichts gesagt?“
„Ist halb so schlimm“, tat Lothar seinen Zustand ab, „ich schaff das schon!“
„Wie dem auch sei“, unterbrach Anselm, weil er wusste, dass das Unwetter bald losbrechen würde, „ich kenne hier in der Nähe eine uralte Kapelle, die müssten wir in wenigen Minuten erreicht haben. Lasst uns da Unterschlupf suchen!“
„Hoffentlich ist die nicht verriegelt“, unkte Dietbert mit bangem Blick gegen die immer bedrohlicher heran rasende, finster wirbelnde Wolkenwand.
„Keine Angst!“ beruhigte Anselm. „Die hat gar keinen Riegel. Als ich dort das letzte Mal gebetet habe, gab es da bloß eine halb zerfallene Lattentür und leider muss ich auch zugeben, dass das Dach den Himmel sehen lies.“
„Na gut“, winkte Randolf ab, „werden wir halt ein wenig nass, Hauptsache wir sind nicht völlig schutzlos dem Unwetter ausgesetzt!“
„In diesem Sinne“, schloss Anselm die kleine Beratung ab, nahm seinen Wanderstab, den er an seine Schulter gelehnt hatte fest in die Hand und gab mit diesem die Richtung vor.
Wer die genaue Lage der Kapelle nicht kannte, hätte sie nie und nimmer gefunden, so versteckt lag das kleine Kirchlein schon seit Jahrhunderten zwischen Brombeerhecken und mannshohen Farnen. Dietbert ging voran und schlug den Weg mit einem frisch geschnittenen Birkenstock und seinem Messer frei.
Kurz bevor er die Eingangspforte erreichte machte er aus Gewohnheit halt – ein Mann wie er, mit seinen Erfahrungen aus vielen Jahren Krieg, besaß kein Vertrauen mehr. Er reckte den Kopf, hörte angespannt ins Innere des kleinen Baues, versuchte eventuelle Gerüche von Tieren oder kaltem Rauch zu identifizieren und machte dann einen kleinen Satz nach vorne, um schnell ein paar Blicke in alle Winkel und Ecken der Kapelle zu werfen.
„Alles klar!“ stellte er beruhigt fest, obwohl er kaum etwas sehen konnte; wäre aber irgendwer oder irgendwas anwesend, er hätte es einfach gespürt.
Man verließ sich ganz auf die Erfahrung von Dietbert und nahm die Kapelle kurzerhand in
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