Die Wolkenreiter Bd 3 - Herrscherin der Lüfte
wollte zu ihrem Fohlen gehen.
»Ich wollte niemals Zuchtmeister werden«, sagte Jinson leise.
Amelia blieb stehen und sah sich neugierig zu ihm um. »Nicht?«
»Nein«, sagte er und sah weiterhin an ihr vorbei zu dem hellen Sonnenschein. »Ich war glücklich als Stallbursche im Fürstenpalast, wo ich für den alten Fürsten gearbeitet habe. Dann ist er gestorben und Fürst Wilhelm wollte … er wollte alles ändern. Und eben auch den Zuchtmeister.«
»Sie hätten das Angebot ablehnen können.«
Jetzt sah er sie mit großen erschrockenen Augen an. »Nein, Baroness«, erklärte er hastig. »Fürst Wilhelm schlägt man nichts ab.«
Mit ausdrucksloser Stimme erwiderte sie: »Ich schon.«
»Oh, nein, Baroness«, wiederholte er. »Lieber nicht. Sie haben ja keine Ahnung. Am besten versuchen Sie, ihn so gut Sie können, glücklich zu machen. Bemühen Sie sich, mit ihm auszukommen … in Ihrem eigenen Interesse. Ich bitte Sie, Baroness.«
Amelia verschränkte die Arme, senkte leicht das Kinn und sah Jinson aus zusammengekniffenen Augen an. »Wieso sind Sie immer noch in seinen Diensten, wenn Sie eine so schlechte Meinung von ihm haben?«
Jinson verzog unglücklich die Mundwinkel. »Ich habe keine Wahl, Baroness«, erwiderte er heiser. »Ich habe schon sehr lange keine Wahl mehr.«
Obwohl das Frühstück bereits kalt war, aß Amelia alles vollständig auf, sogar den kalten Toast und den vertrockneten Käse. Selbst den lauwarmen Tee trank sie. Jinson hatte eine Fuhre Heu und einen Eimer Hafer in den Gang vor Mahagonis Stall gestellt. Sie gab beides ihrem Fohlen, so dass zumindest Mahagoni gut versorgt war. Und da Beere ihm Gesellschaft leistete, war er ganz ruhig.
Aus der Sattelkammer holte sie einen Striegel und bürstete eine halbe Stunde Mahagonis Fell. Währenddessen redete
sie beruhigend auf beide Tiere ein. »Du weißt nicht, wie du auf ihn reagieren sollst, was, mein Schöner?«, murmelte sie, während sie ihn mit gleichmäßigen Bewegungen striegelte. »Der Fürst verwirrt dich.«
Mahagoni schüttelte die Mähne und antwortete mit einem erstickten Schnauben. Amelia legte den Striegel auf das Tor und überprüfte das Halfter. Der Hengst wuchs rasch, und sie beschloss, den Riemen etwas zu lösen, damit er nicht an seinem Kinn rieb. Während sie mit dem Zaumzeug hantierte, knabberte das Fohlen an ihren Fingern. Sie seufzte und streichelte es. »Wir werden wohl eine Weile hier bleiben, mein Schöner«, sagte sie. Sie legte ihre Wange einen Augenblick an seine seidige schwarze Mähne »Es gibt zahlreiche Geschichten über königliche Geiselnahmen«, sagte sie mehr zu sich als zu Mahagoni, doch er zuckte aufmerksam mit den Ohren und lauschte dem Klang ihrer Stimme. »Aber das ist schon so lange her. Ich hätte nie gedacht, dass ich in unseren Zeiten selbst zu einer Geisel werden könnte.«
Sie seufzte und richtete sich auf. Dann kippte sie den Hafer in den Eimer und öffnete den Heuballen. Das Stroh unter Mahagonis Hufen war frisch und sauber und sein Wassereimer voll. Er mampfte das Getreide und warf vor Freude den Kopf hoch. »Zumindest weiß ich, wie man sich verhält. Laut Protokoll steht mir entsprechend meinem Rang eine respektvolle Behandlung zu. Das wird selbst dieser Fürst verstehen.«
Mahagoni hob den Kopf und sah sie gelassen an. Sie lächelte. »Du hast Recht, Mahagoni. Sobald wir merken, dass dem nicht so ist, finden wir einen Weg, um zu fliehen. Aber das ist gefährlich. Bei diesem Slathan … müssen wir sehr vorsichtig sein.«
Mahagoni schnaubte erneut und versenkte seine Schnauze in den Trog mit dem Hafer.
Amelia schloss das Tor, nahm den Striegel und ging zurück zur Sattelkammer.
Das Tablett war verschwunden, und stattdessen lagen dort eine Haar- und eine Zahnbürste, ein Handtuch und ein Spiegel. Darunter fand sie zusammengefaltete Kleidung – einen Rock, zwei Wämser und Unterwäsche, die offensichtlich einmal jemand gehört hatten, der größer war als sie. Zumindest war sie sauber und roch sogar schwach nach Bleiche. Amelia sah mit verschränkten Armen auf sie hinunter, dann ging sie zur Stalltür.
Zwischen dem Stall und dem Haupthaus befand sich ein kleines Buchenwäldchen. Die Blätter waren bereits abgefallen und bildeten einen goldbraunen Teppich. Das Sägen und Hämmern war immer noch zu hören und wirkte beinahe erschreckend normal. Es war schwer vorstellbar, dass sie nicht einfach durch das Wäldchen laufen, den Felsvorsprung dort vorne hinaufklettern und um Hilfe
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