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Die Würde der Toten (German Edition)

Die Würde der Toten (German Edition)

Titel: Die Würde der Toten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Pons
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gut?«
    »Verkürzt ausgedrückt könnte man das so sagen. Wenn es nur das eine Problem gibt. Aber da bin ich nicht sicher.« Sie konnte ihm ansehen, dass sie noch lange nicht alles wusste. Obwohl es sie sehr danach drängte, ihn sofort zu seiner Mutter zu bringen, gab sie den Gedanken auf. Jetzt war nicht der richtige Moment. Dieses Projekt brauchte Geduld. Viel Geduld.

* * *
    Im Kühlraum des Bestattungsinstituts legte Eberhard Moosbacher beide Hände auf den verschlossenen Sarg Kolja Bilanows. Er fühlte sich unendlich alt und hilflos.
    »Sie hatten Recht«, sagte er leise. »Aber es hat Ihnen nichts genutzt, dass Sie wussten, wie gefährlich dieser Mensch ist.«
    Der Mann mit dem mächtigen Schnauzbart, der Jürgen Hilfe angeboten und ihn vor Westermann gewarnt hatte, war am Morgen tot bei ihm abgeliefert worden. Seitdem kämpfte Moosbacher mit sich und seinem weiteren Vorgehen. Er brauchte einen vernünftigen Plan. Aber wie konnte man etwas Vernünftiges tun, wenn man mit einem Verbrecher Geschäfte machte?
    Mit besten Grüßen von Herrn Westermann, hatten die beiden bulligen Kerle betont, als sie den Leichnam über die Schwelle trugen. Wusste Westermann von dem Gespräch zwischen Bilanow und ihm? War Bilanow deshalb nicht mehr am Leben? Sollte er die Leiche als Auftrag im Rahmen ihrer Abmachung betrachten oder als latente Drohung? Mit Entsetzen stellte er sich vor, Jürgen könnte in Westermanns Hände fallen. Für einen Augenblick ließ Eberhard Moosbacher resignierend den Kopf hängen, dann straff te er die schmalen Schultern. Er durfte sich nicht gehenlassen. Das Einzige, was er tun konnte, war Westermanns Aufträge wunschgemäß zu erledigen. Dazu bedurfte es eines selbstbewussten und starken Auftretens. Auch und gerade Henry gegenüber. Sie durfte auf keinen Fall erfahren, wie sehr sie alle in der Falle saßen.

* * *

    Henry zog den Kopf zwischen die Schultern, ein kalter Wind zau ste ihre Haare. Fröstelnd begleitete sie Adrian zurück zu seinem Wagen.
    »Ich bring dich nach Hause, wenn du willst.«
    Dankbar schlüpfte sie auf den Beifahrersitz. Das war jetzt deutlich angenehmer, als der kalte Fußmarsch zur S-Bahn. Allein der Gedanke an all die schniefnasigen Gestalten, die sich dort um diese Zeit meist übellaunig und mit Tüten bepackt aneinander dräng ten, genügte ihr. In der von Tröpfchen geschwängerten Luft hat te das Immunsystem die freie Auswahl zwischen Viren und Bakterien. Von Tuberkulose bis Schweinegrippe war garantiert jeder Erreger im Angebot.

    Adrian warf die feuchte Jacke auf den Rücksitz. Es herrschte immer noch reger Feierabendverkehr, so dass er sich eine Weile schweigend ausschließlich aufs Fahren konzentrierte. An einer ro ten Ampel wandte er sich Henry wieder zu. Im Halbdunkel des Wagens konnte er ihr Gesicht nur schemenhaft erkennen. Die Lichter der Stadt tupften bunte Reflexe auf ihre Haare – ein zerzaustes Gewirr, dessen Leuchten ihn jetzt an einen Heiligenschein erinnerte. Oder auch an die lodernden Flammen eines Scheiterhaufens. Schnell richtete er den Blick wieder auf die Straße.
    »Was ist?«, fragte Henry. »Klebt mir noch Dönersoße im Gesicht?«
    Er trommelte mit den Fingern auf das Lenkrad und versuchte, seine Gesichtszüge unter Kontrolle zu bringen. Sie hätte wirklich eine prima Hexe abgegeben. Er musste sich unbedingt von dem Gedanken ablenken, sonst würde er gleich laut loslachen.
    »Sag mal, wie bist du eigentlich auf diesen Job gekommen? Leichen waschen ist ja nicht gerade der Traumberuf kleiner Mädchen, oder?«
    »Wenn man mit siebzehn noch als kleines Mädchen durchgeht, schon.« Sie rutschte ein Stück tiefer in den Sitz und stützte die Knie gegen das Handschuhfach. »Es ist eigentlich Jürgens Schuld.«
    »Jürgen?«
    »Moosbacher junior. Willst du die ganze Geschichte?«
    Adrian nickte und setzte den Blinker.
    »Kennengelernt habe ich Jürgen in der Schule, da war ich noch sechzehn. Er ist ein paar Jahre älter. Es war cool mit den Großen unterwegs zu sein, da floss schon mal Alkohol in größeren Mengen. Die hatten Autos, geile Musik. Und weil ich damals Anschluss an die Gothic-Szene suchte, so mit dem ganzen schwar zen Outfit und diesem Kram, und alles, was mit Tod zu tun hatte, absolut faszinierend fand, war Jürgen natürlich erste Sahne. Wir waren eine Weile zusammen, aber leider ist er blöd wie ein löchriger Eimer, deshalb hat’s nicht lange gehalten. Schluss war nach einer Party, die wir heimlich auf dem Gelände des

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