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Die Würde der Toten (German Edition)

Die Würde der Toten (German Edition)

Titel: Die Würde der Toten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Pons
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hinunter, wechselte im Vorbeigehen ein paar Worte mit Ria Fornoff, die mit ihrem Mann Werner in der Wohnung links von ihr lebte. Ria verfügte über einen fatalen Hang zu Tratschgeschichten und gab sich Mühe, alles über jeden im Haus herauszufinden. Henry nahm ihren Bericht über zwei zwielichtige Gestalten, die am Freitagabend angeblich das Haus beobachtet hatten, einsilbig und mit mäßigem Interesse zur Kenntnis. Zuhältertypen waren hier nun wirklich keiner besonderen Erwähnung wert. Obwohl die sich eher in den angrenzenden Straßen herumtrieben und sie sich kei nen Grund vorstellen konnte, weshalb die ein normales Wohn haus observieren sollten. Hier wohnte kein Mädchen aus dem Ge werbe und vermutlich auch kein Freier, der die Zeche geprellt hatte. Diesen Hinweis quittierte Ria mit einem so pikierten Gesichtsausdruck, als hätte Henry ihrem Werner den Besuch eines solchen Etablissements unterstellt.
    Aus reiner Langeweile kaufte Henry bei Esma Gökcek eine Zeitschrift und etwas zu essen. Beides legte sie auf den Küchentisch und vergaß es sofort.
    Über dem Stuhl hing die Jacke, die sie am Vortrag getragen hat te. Da war ein Fleck. Mit einem nassen Tuch machte sie sich an des sen Beseitigung. Der ganze Ärmel klebte. Vor allem innen. Hen ry unterbrach den Reinigungsversuch und roch daran. Baklava. Sie lutschte zur Bestätigung ein wenig daran. Zuckersüß. Bei dem Gedanken an Adrians erwartungsvoll aufgesperrten Mund musste sie grinsen. Er hatte ganz ungewohnt entspannt ausgesehen. Ko misch, wie genau sie sich an solche Kleinigkeiten erinnerte. Auch an seine Augen, die oft so abwesend wirkten. An das Grübchen. Sie nuckelte noch einmal an dem Stoff und glaubte plötzlich, die Berührung seiner Lippen und Zähne an ihren Fingern zu spü ren.
    Entschlossen hielt sie den Fleck an der Spüle unter den Wasserhahn und begann wild zu reiben. Sie musste hier raus, ehe ihr die Decke auf den Kopf fiel. Jetzt ging ihr schon in der Freizeit die Arbeit nicht aus dem Kopf. Das wollte sie gar nicht erst anfangen, es konnte schnell zur Gewohnheit werden. Und Adrian war nichts weiter als der Angehörige einer ihrer Toten. Natürlich dachte sie manchmal am Abend an die Menschen, denen sie tags über begegnete. Auch an das, was ihnen zugestoßen war, bei ei nem besonders traurigen Hintergrund. Aber die Probleme der Lebenden würde sie in Zukunft nur allzu gern wieder Moosbacher überlassen und sich ganz ihren friedlichen, stillen Klienten widmen. Wenn Adrian keine Trauerarbeit wollte, dann war das sein Problem, nicht ihres. Wenn er seine Mutter einfach verscharren und vergessen wollte, dann war das ebenfalls nur sein Problem. Und was auch immer er sonst noch an Ballast mit sich herumschleppte, konnte ihr völlig egal sein.
    Sie warf die Jacke auf die Heizung und drehte die Temperatur hoch. Höchste Zeit, den Kopf frei zu kriegen. Ihre Augen über flogen die Pinwand. Rechnungen, Kassenzettel, eine Notiz mit einem Arzttermin, diverse Visitenkarten, ein zerknüllter schwar zen Flyer: Samstag Nacht Dark Wave, Gothic und Elektro mit DJ Ray.
    Sie packte Mephisto und drückte dem protestierenden Tier einen Kuss ins Fell.
    »Gerettet!«
    Der Purgatory Club war genau das, was sie jetzt brauchte. Abtanzen unter Gleichgesinnten und die Welt einfach vergessen.

Tag 7 – Sonntag
    Um fünf Uhr morgens gab Henry den Versuch auf, ihr Leben um ein paar Jahre zurückzudrehen. Auch die lauteste Musik konnte ihr in dieser Nacht nicht helfen. Wütend kickte sie eine Pappschachtel quer über den Gehweg. Einem Nachtschwärmer, der ihr mit schwerer Zunge ein unmoralisches Angebot machte, zeigte sie genervt den Mittelfinger und wechselte die Straßenseite. Sie war weder in Stimmung für Sex, noch für eine Prügelei oder eine andere Form der Konfrontation. Wobei die Prügelei ihr spontan am sympathischsten erschien. Grimmig raffte sie ihren schwarzen Schal mit einer Hand vor der Brust zusammen und bedeckte fröstelnd die nackte Haut ihrer Schultern.
    Völlig bescheuert, dieser Gedanke, einfach an früher anknüpfen zu können! Was sich da auf der Tanzfläche getummelt hatte, war zwar schön anzusehen, hatte aber mit echtem Goth nicht viel zu tun. Modeerscheinungen, wie die austauschbaren C&A-Punker, die ein perfektes Styling von der Stange kauften. Aber niemand, der die Idee dahinter lebte. Wahrscheinlich kannten sie die nicht einmal. Und auch nicht die Bedeutung der Symbole, mit denen sie sich leichtfertig schmückten, die sie durcheinandermischten

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