Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Würde der Toten (German Edition)

Die Würde der Toten (German Edition)

Titel: Die Würde der Toten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Pons
Vom Netzwerk:
und dabei Elemente von Satanismus, Mittelalter und BDSM-Szene wahllos kopierten und zu einem Einheitsbrei verrührten. Sie hingegen hatte immer an Goth geglaubt. Mit Feuer und Leidenschaft, und darum gekämpft, mit ihren Ansichten ernst genommen zu werden. Aber diese Idioten spielten Goth nur. Ohne Hirn und Verstand. Berauschten sich am Sexappeal eines Kinovampirs, imitierten die Teufelszeichen und dachten kein einziges Mal an das Wesentliche dahinter. Die Vergänglichkeit. Den Tod. Die einzige Konstante in der Welt.
    Nach all der Verlogenheit brauchte sie endlich etwas Reales, um zur Ruhe zu kommen. Ein Mann wäre vielleicht doch keine schlechte Lösung gewesen, aber wirkliche Entspannung brachte ihr Sex mit Fremden selten.
    Sie musste mit jemandem reden. Mit jemandem, der zuhörte. Mit jemandem, der verstand. Der den Tod kannte.
    Abrupt blieb sie stehen und steuerte die U-Bahn-Station Konstablerwache an. In Moosbachers Kühlkammer lag Elisabeth von Bragelsdorf. Und Adrian würde ihr am Sonntag garantiert nicht in die Quere kommen.

* * *

    Unruhig schreckte Adrian aus dem Schlaf auf. Wieder so ein wirrer Traum. Neben ihm schlummerte Katja auf ihrem Kissen. Sie hatten noch den ganzen Sonntag vor sich, und er hoffte, dass sie sich heute nicht wieder streiten würden. Er zog die Decke über ihre nackte Schulter und lauschte ihren ruhigen Atemzügen. Für ihn war die Nacht zu Ende, als der Traum begonnen hatte.
    Diesmal hatte ihn ein Rosenverkäufer verfolgt, vom Büro aus quer durch die Stadt, in einen Dönerladen, dann zu Vittorio, der dauernd mit seiner Pfeffermühle wedelte, und bis in den Bahnhof, wo er schließlich in einen Zug flüchtete, der Richtung München fuhr. Dort im Abteil saß der Mann dann neben Katja, die den großen Strauß Rosen im Arm hielt, Fotos von der perfekten Schnäppchenwohnung herumreichte und Adrian strahlend anlächelte.
    Leise kroch er unter der Decke hervor und tappte auf nackten Füßen in die Küche. Fast sechs Uhr. Er öffnete den Kühlschrank und trank im Stehen ein paar Schlucke eiskalten Orangensaft. Plötzlich fiel ihm der Stapel mit Briefen wieder ein, den er bei Elisabeth gesehen hatte. Wenn er jetzt losfuhr, konnte er sie holen, Brötchen kaufen und Frühstück machen, ehe Katja aufwachte.

* * *

    Die monotonen Gesänge der Orthodoxen beruhigten Vytautas Demochka, der auf einer Kirchenbank in der hintersten Reihe saß. Dazu das Gold, die Ikonen, die ewig gleichen Rituale. Ein bisschen fühlte es sich an wie zu Hause, obwohl er damals in Litauen nie in die Kirche gegangen war. Er war kein gläubiger Mensch im religiösen Sinne, und seine Eltern glaubten nur an die Segnungen des Kommunismus, dessen Vorzüge Vytautas als Jugendlicher durchaus zu schätzen gewusst hatte, auch wenn er sich nicht für Politik interessierte. Endlos weit weg erschien ihm diese Zeit, mit ihren klaren und übersichtlichen Regeln. Er liebte Regeln, sie gaben Halt und Sicherheit, legten fest, was oben und was unten war. Und seine Familie war oben. Nicht gerade weit oben, aber weit genug, um ein gutes Leben zu führen. Dann kam die Demokratie und alle Strukturen brachen auseinander. Und sein Vater, der ein braver Kommunist gewesen war, wurde plötzlich öffentlich ein Schwein geschimpft, was vorher niemand gewagt hätte. Ein Sowjetfreund zu sein, wurde zur Schande und das Parteiabzeichen zum Symbol für den Untergang. Trotzdem blieben sein Bruder und er, während die Eltern das Land in Richtung Moskau verließen, von wo die Familie des Vaters vor Generationen gekommen war. Von da an schlug er sich mit Rimas allein durch.
    Aus einer verschlafenen Kleinstadt im Norden machten sie sich auf nach Vilnius. Dort wollten sie sich ihr Stück vom großen, süßen Kuchen der Freiheit holen. Ihre Körperkraft wurde zu ihrem Kapital. Und der Wille, ihre Muskeln, unabhängig von den Hintergründen, für den Meistbietenden einzusetzen, sicherte ihr Überleben. Wiederholt landeten sie deswegen im Gefängnis. Sie machten sich wenig Gedanken darüber. So war das eben. Nach einem jener Aufenthalte – ohne Ersparnisse, ohne Unterkunft, ohne Pers pektive – begegneten sie Alfred Westermann. Längst hatte Vytautas begriffen, dass die Regeln überall die gleichen waren. Egal in welchem Land, welchem politischen System, ob in Freiheit oder im Knast. Die ganz oben mehrten ihren Reichtum und Einfluss auf die gleiche Art: mit subtilen Drohungen und gnadenloser Brutalität. Es war klug, sich diesen Leuten anzuschließen. Geld und

Weitere Kostenlose Bücher