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Die Würde der Toten (German Edition)

Die Würde der Toten (German Edition)

Titel: Die Würde der Toten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Pons
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Moosbachers Geschäfte einmischen und ihn schon gar nicht in Schwierigkeiten bringen. Doch die Toten auf ihrem Tisch betrafen sie persönlich. Den Gedanken, sich ihnen gegenüber der Schlamperei schuldig zu machen, konnte sie nicht ertragen.
    Während sie noch darüber nachgedacht hatte, wie und wann sie mit Adrian sprechen könnte, hatte er sie von sich aus angerufen. Das erleichterte ihr die Sache. Seine gute Laune auch. Zum ersten Mal hörte sie keine Verachtung in seiner Stimme, als er von seinem Vater sprach.

* * *

    Die Tür zum Versorgungsraum stand einen Spalt breit offen. Wie erwartet kam Adrian über die Hintertreppe. Henry riss die Tür auf, als sie ihn kommen hörte, zog ihn eilig herein und drehte dann den Schlüssel im Schloss. Fragend schaute er sie an.
    »Muss ich mich jetzt fürchten?«
    Auf dem Tisch lag eine Tote, und der merkwürdige Behälter mit den Schläuchen blubberte wieder geräuschvoll vor sich hin. Ein Szenario, an das er sich immer noch nicht gewöhnt hatte. Statt einer Antwort verschwand Henry in der Kühlkammer. Er hörte sie darin rumoren und gleich darauf überreichte sie ihm die Fotos, die sie nach dem Gespräch mit Eberhard Moosbacher angefertigt hatte. Auf die Zeitung hatte sie diesmal verzichtet, aber die Verletzungen lückenlos dokumentiert.
    »Du hast die Bilder versteckt?«
    Sie zog die Nase kraus und biss sich auf die Unterlippe. »Wieso?«
    Henry zuckte die Schultern. »War so ein Gefühl«, murmelte sie. »Ich wollte sie nicht einfach auf meinem Schreibtisch herumliegen lassen.«
    Adrian grinste. »Sag nicht, sie haben in einem Sarg gesteckt!«
    Henrys Hals lief langsam rot an, und sie kontrollierte überflüssigerweise die Einstellung der Pumpe.
    »Im Ernst? In einem Sarg?« Kopfschüttelnd beobachtete er ihre ungewohnt fahrigen Bewegungen, dann schaute er auf das erste Bild. Blaue Flecken, schwarze Flecken. Mehr konnte er spontan nicht erkennen. Das konnte alles sein oder auch absolut gar nichts.
    »Wenn du sie mir mitgibst, lasse ich mal einen Fachmann draufgucken.« Eine Tätowierung auf dem Arm, der seltsam verdreht wirkte. Schürfwunden oder Prellungen. Schön sah das nicht aus.
    »Klar, kein Problem.« Henry zupfte an ihrem Kittel herum.
    »Hat der Typ auch einen Namen?«
    »Sicher, aber – ich will nicht, dass du wieder umsonst so viel Zeit investierst. Also bitte, nur nach den Verletzungen fragen.«
    »Okay, wie du willst.« Adrian klopfte an den Behälter mit der rosa Flüssigkeit und schnipste mit dem Finger gegen einen der Schläuche. »Was ist das eigentlich? Wozu machst du das?«
    »Wie genau willst du’s denn wissen? Thanatopraktische Be hand lung ist der Fachausdruck, besser verständlich ist wohl einfach: einbalsamieren. Blutaustausch.« Sie war froh, über praktische Dinge reden zu können. Langwierige Erklärungen über simple Arbeitsabläufe entspannten sie und verhinderten, dass sie doch noch etwas ausplauderte, was sie für sich behalten wollte.
    »Das Zeug, das durch die Halsschlagader Arteria carotis communis reingepumpt wird, ist Formalin. Das wird mit Wasser verdünnt, 1,5-prozentige Lösung, dann kommt Lanolin dazu und ein Farbstoff, der für einen natürlichen, lebendigen Teint sorgt. Wenn meine Kunden hinterher immer noch tot aussehen, habe ich meinen Job nicht gut gemacht. Die Mischung reicht für eine Konservierung von 2-4 Wochen. Höherer Formalingehalt bedeutet längere Haltbarkeit. Je früher balsamiert wird, desto besser verschwinden die Leichenflecken. Hilfreich ist, wenn vorher Blutverdünner oder ähnliche Medis geschluckt wurden, dann läuft es, auch post mortem, noch schneller ab. Ja, und abgeführt wird es durch die Vena jugularis interna , also die Vene eben. Die Injektionspumpe erklärt sich wohl von selbst. Unten der Motor, in der Mitte die Brühe und durch Schlauch und Kanüle ab damit in den Körper. Sonst noch Fragen?«
    Sein Schweigen machte sie zusehends nervös, und sie zweifelte , ob Adrian ihr überhaupt zugehört hatte. Er schaute weiter die Bilder an, sortierte sie langsam von vorne nach hinten und zurück.
    »Nein«, sagte er dann. »Nein, keine weiteren Fragen. Ich nehme die hier mit und zeige sie einem Spezialisten. Aber das kann ein paar Tage dauern. Ich muss jetzt los.«
    Ganz in Gedanken griff Adrian seine Jacke und verschwand, ohne sie noch mal anzusehen.
    Sie fühlte sich plötzlich lächerlich. Was sie für Beweise hielt, war möglicherweise wieder gar nichts. Hirngespinste.

* * *

    Ungeachtet des trüben

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