Die Würde der Toten (German Edition)
László Szebeny.
* * *
Viktor zögerte keine Sekunde, als ihn Adrians Anruf erreichte. Adrians bruchstückhaften Erklärungen konnte er entnehmen, dass die Sache heikel war, mit Henry und den Fotos zusammenhing und dass Adrian sich entschlossen hatte, seinen Instinkten zu folgen. Auf eigene Faust und mit großem persönlichen Risiko. All das spielte für Viktor nur eine untergeordnete Rolle. Sein Sohn bat ihn um Hilfe. Das allein zählte.
Er parkte seinen Passat vor dem Zaun des Gebrauchtwagenhandels. Die betagte Kiste verlieh seinem Besuch eine gewisse Glaubwürdigkeit. Gemächlich schlenderte er zwischen den mehr oder weniger glänzenden Wagen herum, spähte hier durch eine Windschutzscheibe, strich dort über die Kühlerhaube, begutachtete die Preise, die auf großen grell-bunten Schildern prangten. Fähnchen wehten an Schnüren über dem Platz, ein Verkäufer tanzte eifrig um einen weißen BMW herum, in dem sich ein Paar niedergelassen hatte.
Die Gelegenheit erschien Viktor günstig, und er betrat den Verkaufsraum, in dem sich nur eine Büroangestellte aufhielt. Eine gepflegte Mittfünfzigerin, die geschäftig Papiere sortierte und sowohl den Eingang, als auch die Tür zum Büro der Geschäftsleitung fest im Blick hatte. Petra Jansen las er auf dem Schildchen an ihrer Bluse. Zwei Namen und einen Auftrag hatte Adrian ihm mit auf den Weg geben. Jetzt war die Zeit zur Improvisation gekommen.
»Einen wunderschönen guten Tag, Frau Jansen!«, schmetterte er ihr entgegen und machte eine vielsagende Geste gen Himmel, an dem sich dunkle Wolkenberge türmten. Sein verschmitztes Lächeln wurde sofort erwidert.
»Wunderschön, allerdings. Was kann ich für Sie tun?«
Freundlich wies sie ihm einen Stuhl zu. Während er den Mantel ablegte und Platz nahm, erklärte er ausschweifend, er sei auf der Suche nach einem Ersatz für seinen Wagen, den er an seine Enkelin abtreten wolle. Als Anfängerfahrzeug tauge der noch – da käme es auf ein paar Beulen nicht an. Und er schwärmte, was für ein zauberhaftes Mädchen seine Enkelin doch sei. Petra Jansen versorgte ihn mit einer Tasse Kaffee, die er dankend entgegennahm, ohne seine Geschichte zu unterbrechen. Je länger er drauf- losfabulierte , desto mehr Gefallen fand er an dem Spiel und ganz beiläufig erwähnte er, dass er schon einmal ein Auto bei Bilanow gekauft habe. Für seine inzwischen verstorbene Frau.
»Ich hab es nicht mehr genau im Kopf, wann das gewesen ist. Aber Sie waren nicht da. Sie wären mir garantiert in Erinnerung geblieben. Vielleicht waren Sie im Urlaub. Na ja, ist ja auch nicht so wichtig, jetzt sind Sie ja da. Jedenfalls hat mich damals Ihr Kollege beraten. Netter Mann. So ein großer, kräftiger Bursche. Der hat mir auch seine Karte gegeben. Fürchterlicher Name, kann sich kein Mensch merken und auch nicht aussprechen. Irgendwas mit Sch vorne. Wissen Sie, wen ich meine? Wenn es möglich wäre, würde ich gerne wieder mit ihm sprechen, Frau Jansen.«
Sichtlich betrübt schüttelte diese den Kopf. »Ich weiß, wen Sie meinen, aber das wird leider nicht gehen. Herr Szebeny arbeitet nicht mehr hier.«
»Ach?« Viktor beugte sich ein wenig nach vorn auf sie zu, stützte beide Ellbogen auf den Schreibtisch und schaute sie abwartend an.
»Ja, leider«, fügte sie mit einem kurzen Seitenblick zur geschlossenen Bürotür hinzu. »Der László – also, der Herr Szebeny – war wirklich ein feiner Kerl, immer höflich, gut gelaunt. Wir hatten viel Spaß. Aber in der letzten Zeit …« Ratlos zuckte sie die Schultern, und Viktor fürchtete, sie würde das Gespräch an dieser Stelle abbrechen.
»Ich hoffe doch sehr, dass er sich Ihnen gegenüber immer korrekt verhalten hat?«, erkundigte er sich mit gesenkter Stimme und legte vertraulich die Hand auf ihren Arm.
»Oh! Ja, selbstverständlich.«
Viktors Blick hing an ihren Augen, und er nickte mitfühlend und interessiert zu ihren Worten, was sie anregte weiterzusprechen.
»Ich hatte nie Schwierigkeiten mit ihm. Nur der Chef ist manchmal laut geworden. Aber worum es genau ging, weiß ich nicht. Herr Szebeny hat manchmal auch Wagen für Kunden ins Ausland überführt oder sie dort abgeholt. Ich glaube, dabei gab es ein Problem. Und dann, vor zwei Monaten etwa, war er weg.«
»Und wo ist er hin?«
»Soweit ich weiß, ist er nach Aschaffenburg gezogen, dort lebt seine Mutter.«
Aus dem Büro vernahm man die Stimme eines Mannes und dann das helle Lachen einer Frau. »Na, die Stimmung Ihres Chefs hat
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