Die wundersame Geschichte der Faye Archer: Roman (German Edition)
jetzt?
Sie zog sich an und ging zu Fuß zum Real Books, müde und mit Mütze. Sie fühlte sich nicht bunt, dafür sehr leise. Samstags war weniger los auf den Straßen, jedenfalls um diese Uhrzeit. Samstags erwachte Brooklyn Heights später; sie hatte also noch etwas Zeit. Am Kiosk kaufte sie sich einen doppelten Espresso und eine Tageszeitung, die sie, da war sie sich sicher, nicht lesen würde. Aber es fühlte sich gut an, sie unter den Arm geklemmt bei sich zu tragen.
»Hallo«, sagte Mica, als sie im Buchladen ankam. Er besprühte gerade die Pflanzen mit Wasser, das tat er jeden Samstagmorgen.
»Er ist nicht gekommen«, sagte Faye. Sie legte den Mantel ab und setzte sich, Mica gegenüber, auf einen Stuhl. »Es war ein grausamer Abend«, gestand sie, »es geht mir nicht gut. Ich bin müde und verkatert und richtig mies gelaunt.« Sie sah ihn an, verstohlen, schon jetzt entschuldigend, was sie noch gar nicht getan oder gesagt hatte. »Ich dachte nur, du solltest das wissen. Falls ich … Na ja, du weißt schon.«
»Ingwertee?«, fragte Mica nur und stellte die Sprühflasche auf den Tisch neben der Yuccapalme.
Faye nickte.
Das war alles. Manchmal war es von Vorteil, einen Shaolin-Buchhändler zu kennen.
Mica Sagong brachte ihr den Ingwertee und schenkte ihr ein Lächeln. Sie trank den Tee und erwiderte es, ein wenig unecht , wie sie fand, aber Mica wusste ja jetzt, warum sie so gequält lächelte.
»Ein höfliches Lächeln«, hatte er ihr einmal gesagt, »ist besser als gar kein Lächeln.«
Damals hatte Faye nicht weiter darüber nachgedacht. Jetzt fiel es ihr wieder ein, und sie verstand, was er gemeint hatte.
So begann der Samstagvormittag im Real Books.
Es waren mehr Kunden als sonst im Laden, und Mica und Faye sprachen den ganzen Vormittag nicht über den vergangenen Abend; es war wie eine stille Vereinbarung zwischen ihnen. Fast traumwandlerisch bediente Faye die Kunden, ging nach hinten ins Kabuff und packte die neuen Lieferungen aus, machte Kaffee für Mr. Chance, der einen Karton mit gelesenen Romanen – in allerbestem Zustand – vorbeibrachte und, wie immer, im Laden verweilte, um neue Bücher zu er stehen, die er dann in den nächsten Wochen zurückbringen würde. Sie führte ein wenig Small Talk mit dem alten Mann, denn das mochte er, und widerstand dem Drang, online zu gehen und ihre Mails zu überprüfen. Dummerweise ertappte sie sich aber, ganz unabhängig von der fortwährenden Versuchung durch das Internet, bei dem irgendwie verlockenden Gedanken an die winzige Möglichkeit, dass Alex spontan im Laden aufkreuzen könnte und sich alles klären würde, natürlich zum Guten, und spähte, dann und wann, verstohlen in Richtung Eingang, wo sich natürlich kein Alex Hobdon zeigte. Dafür eine kleine Dame mit zwei frisierten Pudeln, die nach Cecilia Ahern verlangte, ein sich sehr sportlich gebender Mittvierziger mit kantigem Gesicht, der »etwas, am besten einen Roman« über Marathonläufe suchte, und, gegen Mittag, ein bebrillter Nerd, der vor Freude ganz außer sich war, als er hörte, dass sie den klassischen Geometrie-Thriller Flatland im Regal hatten.
Als ihre Schicht am Nachmittag zu Ende war, stellte sie noch die restlichen Bücher, die Mr. Chance dagelassen hatte, in die Regale und machte sich bereit zu gehen.
»Lass den Kopf nicht hängen«, sagte Mica. »Es ist Wochenende.«
Sie warf ihm theatralisch einen leidenden Blick zu, den sie schnell mit einem lässigen Fingerschnippen in ein Lächeln verwandelte. »Ich lass den Kopf nie hängen.« Sie grinste.
Mica, der sich den Rest denken konnte, faltete die Hände vor der Brust, ganz der Yogi. Dann ging er zur Kasse und griff in die Schublade. »Ich habe da noch etwas für dich.«
Neugierig schaute Faye auf.
»Vielleicht möchtest du es lesen.«
Jetzt war sie erst recht interessiert. Sie ging zu Mica.
»Ich habe das hier für dich bestellt.« Er hielt ein Päckchen in die Höhe. »Wenn du es nicht möchtest, dann sortier es drüben bei den Graphic Novels ein.« Er reichte ihr das kleine Geschenk, ohne Zweifel ein Büchlein, das konnte man fühlen.
Faye nahm es und wickelte es aus dem Papier. Benommen betrachtete sie es.
»Ein Buch von Alex«, sagte sie.
»Sein Erstling«, kommentierte Mica nur. »Als ich es bestellt habe, wusste ich natürlich noch nichts von gestern.«
Faye nickte. Sie betrachtete das Büchlein mit dem dünnen, flexiblen Einband, blätterte es durch. Gerade mal achtzig Seiten. Das Buch, das sie in Händen
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