Die Zaehmung
»Verlaß uns!« befahl sie dem gebeugten alten Mann, der in den letzten drei Tagen recht unbeholfen ihr Zimmer saubergemacht hatte.
»Aber ich bin doch noch nicht fertig, Mylady«, greinte
er.
»Geh!« befahl Liana und blieb unter der Tür stehen, bis der alte Mann, ein Bein hinter sich herziehend, hinausgehumpelt war.
Als die beiden Frauen unter sich waren, drehte Liana sich wieder zu Jeanne um. »Was hat Rogan zu dieser Herausforderung gesagt?«
»Ich glaube nicht, daß sie an Rogan ergangen ist. Oliver konnte unmöglich glauben, daß er Rogan im Zweikampf besiegen würde! Oh, Liana, das muß endlich ein Ende haben.«
»Dann laßt mich frei«, sagte Liana. »Helft mir, aus dieser Burg zu entrinnen. Wenn ich mich nicht mehr in seiner Nähe aufhalte, wird Olivers Wut sich bestimmt wieder legen.«
»Werdet Ihr zu Rogan zurückkehren?«
Liana wandte sich ab. »Ich weiß es nicht. Ich habe noch ein Landgut, das mir allein gehört. Vielleicht werde ich mich dorthin begeben. Ich werde doch sicherlich noch einen Platz finden, wo ich hingehöre — einen Platz, wo ich keinem zur Last falle.«
Jeanne erhob sich von ihrem Stuhl. »Ich bin zu allererst meinem Mann gegenüber zur Loyalität verpflichtet. Ich kann Euch nicht zur Flucht verhelfen. Er ist gar nicht erbaut davon, daß ich Euch täglich sehe. Nein«, sagte sie mit fester Stimme, »es würde ihn demütigen, wenn ich ihn verriete.«
Verrat, dachte Liana. Die Geschichte der Howards und Peregrines war doch eine einzige Verkettung treuloser Handlungen.
Abrupt verließ Jeanne das Zimmer, als fürchtete sie, ihre Meinung zu ändern, wenn sie noch länger bei Liana blieb.
Am nächsten Tag war Liane sehr nervös, fuhr bei jedem Geräusch erschreckt zusammen. Die Tür wurde aufgesperrt, und Liana blickte hoch in der Hoffnung, Jeanne käme mit Neuigkeiten zu ihr; aber es war nur der alte Mann, der bei ihr saubermachte. Enttäuscht blickte sie wieder hinunter auf das frische Stück Leinentuch, das sie in ihren Stickrahmen eingespannt hatte, und sagte unwirsch: »Nimm das Frühstückstablett weg und entferne dich wieder.«
»Und wohin soll ich dann gehen?« sagte eine Stimme, die ihr so vertraut war, daß ihr die Schauer nur so über den Rücken rieselten. Sehr langsam blickte sie wieder hoch. Vor ihr stand Rogan, eine Augenklappe auf die Stirn hinaufgeschoben, einen mit Wolle ausgestopften Buckel auf dem Rücken, ein Bein so bandagiert, daß es verkrüppelt aussah.
Er grinste sie auf eine so unverschämte Weise an, als erwartete er, daß sie ihm vor Freude in die Arme hüpfte.
Statt dessen nahm sie einen Pokal von ihrem Tablett und warf ihn ihm an den Kopf. Er duckte sich rasch, und das Trinkgefäß flog gegen die Tür. »Du Hundesohn«, sagte sie. »Du streunender Satyr. Du verlogenes, betrügerisches Subjekt! Ich möchte dich nie Wiedersehen.« Und bei jedem Wort nahm sie einen anderen Gegenstand vom Tablett, und als ihr dort die Wurfgeschosse ausgegangen waren, alles, was sie im Zimmer gerade erreichen konnte. »Du Lump!« Du hast mich hier verrotten lassen. Sie haben mir die Haare abgeschnitten; aber das ließ dich kalt. Du willst mich nicht haben. Du wolltest mich nie haben. Du hast es nicht einmal der Mühe für wert gefunden, mir zu sagen, daß Zared ein Mädchen ist. Du hast Oliver ausrichten lassen, daß er mich deinetwegen haben könnte. Du hast dir ins Fäustchen gelacht, als sie mich hier gefangenhielten. Du bist mit Severn auf die Falkenjagd gegangen, während ich in diesem Zimmer eingesperrt war. Du . . .«
»Das war Baudoin«, sagte Rogan.
Nachdem nun keine festen Gegenstände als Wurfgeschosse mehr übrigblieben, begann Liana die Decken vom Bett zu reißen und durchs Zimmer zu schleudern. Sie flatterten durch die Luft und landeten zu seinen Füßen. Da lag nun ein großer Haufen von Schmuckgegenständen, Kissen, Tellern und Schüsseln um ihn herum. »Du verdienst alles, was dir die Howards antun«, schrie sie. »Deine ganze Familie ist bis ins Mark verfault. Ich wäre hier fast am Fieber gestorben, während du dich vergnügtest. Ich bin sicher, es ist dir egal; aber sie haben mich die ganze Nacht an einen Baum gefesselt, im Regen sitzen lassen. Ich hätte unser Baby verlieren können. Als wenn dir das etwas ausmachen würde! Du hast ja nie . . .«
»Es war Baudoin, der auf die Falkenjagd ging. Ich war hier«, sagte Rogan.
»Typisch Peregrine: immer jemand anderem die Schuld geben. Diesem armen, unschuldigen Familienvater. Er würde sich
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