Die Zaehmung
scheuchte Ratten aus ihrer Ruhe auf und ließ Staubwolken hinter sich. Als sie wieder umkehren wollte, glaubte sie das Surren eines Spinnrades zu hören. Sie hob die Röcke an, rannte zum letzten Zimmer am Korridor und schob die schwere Tür auf.
In einer hellen Flut von Sonnenlicht saß eine sehr hübsche ältere Frau mit dunklen Haaren und Brauen am Flachsrad. Das Zimmer war sauber, mit Polstermöbeln ausgestattet, und die Fenster hatten sogar in Blei gefaßte Gläser. Dies mußte die Lady sein, die Lord Severn besuchte. Vielleicht war sie eine Tante oder irgendeine andere Verwandte.
»Komm herein, meine Liebe, und schließ die Tür, ehe wir beide am Staub ersticken.«
Liana tat, was die Frau ihr anschaffte, und lächelte. »Ich wußte nicht, daß hier jemand wohnt. Ich meine, wenn man den Zustand sieht, in dem sich dieses Stockwerk befindet.« Sie fühlte sich sofort wohl in der Gesellschaft dieser reizenden Lady, und als diese mit dem Kopf auf einen Stuhl deutete, ließ sie sich sogleich darauf nieder.
»Es ist schrecklich, nicht wahr?« sagte die Lady. »Rogan würde den Schmutz nicht sehen, selbst wenn er bis zum Hals darin watete.«
Liana hörte auf zu lächeln. »Er würde mich nicht sehen, wenn ich darin ertränke«, sagte sie leise zu sich, weil sie das die Lady nicht hören lassen wollte.
Aber die hörte es trotzdem. »Natürlich würde er dich nicht beachten. Männer beachten niemals die guten Frauen, die dafür sorgen, daß ihre Kleider sauber sind, daß ihr Essen schmackhaft ist, und die ihnen schweigend Kinder gebären.«
Lianas Kopf ruckte in die Höhe. »Welche Frauen beachten sie dann?»
»Frauen wie Iolanthe.« Sie lächelte Liana zu. »Du bist ihr noch nicht begegnet. Iolanthe ist Severns Herzblatt. Nun, nicht sein Herzblatt, sondern eigentlich die Ehefrau eines sehr vermögenden, sehr alten, sehr dummen Mannes. Iolanthe gibt sein Geld aus und lebt hier mit Severn, der weder alt noch vermögend ist und alles andere als dumm.«
»Sie lebt hier? Sie zieht es vor, in diesem . . . diesem . . . diesem . . .«
»Sie hat eine eigene Wohnung über der Küche — tatsächlich in den besten Räumen der Burg. Iolanthe würde immer nur das Beste für sich verlangen.«
»Ich verlangte Hilfe von den Dienstboten«, sagte Liana bitter, »aber ich bekam sie nicht.«
»Verlangen und Verlangen sind eben zweierlei Paar Stiefel«, erwiderte die Lady, die den Flachs zu einem feinen ebenmäßigen Faden spann. »Du liebst Rogan wohl sehr, wie?«
Liana blickte zur Seite und fragte sich erst gar nicht, ob es schicklich sei, mit dieser Dame so intime Dinge zu besprechen. Sie war es leid, immer nur Mägde als Gesprächspartner zu haben. »Ich glaube, ich hätte ihn lieben können. Ich willigte ein, ihn zu heiraten, weil er der einzige Mann war, der mir nichts vormachte. Der nicht meine Schönheit pries und dabei auf das Gold meines Vaters schielte.«
»Rogan ist immer ehrlich. Er schützt niemals vor, was er nicht ist. Und er tut nicht so, als läge ihm etwas am Herzen, was ihm tatsächlich nichts bedeutet.«
»Wie wahr. Und ich bedeute ihm nichts«, sagte Liana traurig.
»Aber dann belügst du ihn ja auch, nicht wahr, meine Liebe? Die Liana, die sich vor dem Gelächter der Mägde versteckt, ist nicht die Liana, die den Besitz ihres Vaters verwaltete — die Liana, die einst furchtlos einer Horde wütender Bauern die Stirn bot.«
Liana fragte nicht erst, woher diese Frau das alles wußte; aber sie spürte, wie ihr die Tränen in die Augen schossen. »Ich glaube nicht, daß ein Mann diese Liana lieben könnte. Joice sagt, Männer mögen . . .«
»Und wer ist Joice?«
»Meine Kammerdienerin. Tatsächlich ist sie so etwas wie eine Mutter für mich. Sie sagt . . .«
»Und sie weiß alles über Männer, wie? Sie wurde von einem Mann großgezogen, mit einem Mann verheiratet, und ist nun die Mutter vieler Männer, wie?«
»Nein, eigentlich nicht. Sie ist mit mir aufgewachsen. Vorher war sie Vollwaise und lebte im Frauenquartier. Sie ist allerdings verheiratet, hat jedoch keine Kinder. Aber sie sieht ihren Mann ja auch nur ungefähr dreimal im Jahr . . . Oh, ich verstehe, was Ihr meint. Joice hat nicht so gar viel Erfahrung mit Männern gehabt.«
»Nein, das dachte ich mir schon. Also denk daran, meine Liebe — es ist nicht die Frau, die das Haus eines Mannes säubert, deretwegen ein Mann bereit ist, im Türmer sein Leben einzusetzen. Es ist die Frau, die zuweilen die Peitsche schwingt.«
Das brachte Liana
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