Die Zaehmung
zum Lachen. »Ich kann mir nicht vorstellen, daß ich wegen Lord Rogan die Peitsche schwingen würde.«
»Nur ein schmutziges Hemd«, erwiderte die Frau augenzwinkernd und hob dann den Kopf. »Jemand kommt die Treppe herauf. Geh jetzt, bitte. Ich möchte nicht gestört werden.«
»Ja, natürlich«, sagte Liana, verließ das Zimmer und zog die Tür hinter sich zu. Um ein Haar wäre sie wieder umgekehrt und hätte die Frau gefragt, woher sie das mit dem schmutzigen Hemd wußte; aber Joice erschien am Kopfende der Treppe und sagte, daß Liana gebraucht würde.
Den Rest des Tages verbrachte Liana in Isolation, auf ihren Söller und die Gesellschaft ihrer Mägde beschränkt, während ihr immer wieder die Worte der Frau im oberen Stockwerk durch den Kopf gingen. Sie war schrecklich verwirrt und wußte nicht, was sie tun sollte. Sie überlegte, ob sie zu Rogan gehen und von ihm den Gehorsam seiner Dienerschaft verlangen sollte; aber dieser Gedanke kam ihr lächerlich vor. Er würde ihr nur den Rücken zukehren, und sie schätzte ihn nicht so ein, daß er ihr mehr Gehör schenkte, wenn sie ihn anbrüllte. Natürlich konnte sie jederzeit ein Schwert gegen ihn ziehen. Aber bei dieser Vorstellung mußte sie fast kichern. Ihr blieb also nichts anderes übrig als zu warten. Vielleicht würde er eines Tages in den Söller kommen, vermutlich in der Absicht, sich einen seiner Jagdvögel zu holen, und wenn er dann sah, wie reinlich es inzwischen hier war, würde er vielleicht bleiben wollen und sich dann mit liebevollen Augen ihr zudrehen und . . .
»Mylady,« sagte Joice. »Es ist schon später Abend.«
»Ja«, sagte Liana seufzend. Sie würde nun wieder in ihr leeres, kaltes Bett gehen.
Es war viele Stunden später, als sie von einem seltsamen Geräusch erwachte und ein Licht sah. »Rogan!« rief sie erschrocken, drehte sich auf die andere Seite und erblickte nicht ihren Gatten, sondern einen groß gewachsenen Jüngling — einen sehr hübschen Jüngling mit schmutzigen schulterlangen Haaren und einer zerlumpten Samttunika über einer ausgebeulten gestrickten Strumpfhose. Er stand an der Wand, einen Fuß auf einen Schemel gestellt, einen Ellenbogen auf ein Knie gestützt, verzehrte einen Apfel und betrachtete sie dabei im Licht einer dicken Kerze.
Liana setzte sich auf. »Wer bist du, und was suchst du in meinem Zimmer?«
»Ich bin gekommen, um dich in Augenschein zu nehmen«, sagte der Jüngling.
Er mußte jünger sein, als seine Größe vermuten ließ; denn er hatte noch keinen Stimmbruch, überlegte Liana. »Nun, wo du mich gesehen hast, kannst du wieder verschwinden.« Sie brauchte sich solche Unverschämtheiten nicht in dem Zimmer gefallen zu lassen, das sie zu ihrem Privatquartier gemacht hatte.
Er mampfte geräuschvoll seinen Apfel und machte keine Anstalten, ihrer Aufforderung nachzukommen. »Ich schätze, du hast hier ziemlich lange auf meinen Bruder gewartet.«
»Deinen Bruder?« Liana erinnerte sich daran, daß Helen gesagt hatte, sie wüßte nicht, wie viele von Peregrines Söhnen noch am Leben seien.
»Ich bin Zared«, sagte der Jüngling, stellte den zweiten Fuß wieder auf den Boden und warf das Kerngehäuse des Apfels zum Fenster hinaus. »Ich habe dich jetzt gesehen. Du bist genauso, wie man dich mir beschrieben hat, und Rogan wird heute nacht nicht zu dir kommen.« Damit bewegte sich Zared zur Tür hin.
»Warte einen Moment!« sagte Liana mit einer Stimme, die den Jungen zwang, wieder anzuhalten und sich umzudrehen. »Was meinst du damit, daß ich so wäre, wie man es dir erzählt hat, und daß mein Mann heute nacht nicht zu mir käme?« Liana hoffte, der Jüngling würde antworten, daß Rogan in einer geheimen Mission für den König unterwegs sei oder ein befristetes Keuschheitsgelübde abgelegt hätte.
»Heute ist Mittwoch«, antwortete Zared.
»Was hat der Wochentag mit meinem Mann zu tun?«
»Wie ich hörte, bist du ihnen ja bereits begegnet. Es sind ihrer acht. Eine für jeden Wochentag und eine als Ersatz, wenn eine von den Wochentagen gerade ihre Regel hat. Zuweilen haben gleich zwei auf einmal die Regel, und dann ist es mit Rogan nicht auszuhalten. Vielleicht kommt er dann zu dir.«
Liana war sich nicht ganz sicher; aber allmählich begriff sie, was es mit den Wochentagen auf sich hatte. »Diese Mägde«, sagte sie leise. »Willst du damit sagen, daß mein Mann jede Nacht mit einer anderen schläft? Daß sie ein . . . ein Kalender sind?«
»Er hat einmal versucht, sich für jeden
Weitere Kostenlose Bücher