Die Zaehmung
hören, und deshalb hatten sie es auch gesagt.
»Und deine anderen Brüder — waren das auch Rotschöpfe gewesen?«
Er dachte an seine nun toten Brüder, erinnerte sich daran, wie jung sie gewesen waren, wie stark und was für gute Kämpfer. Damals hätte er niemals gedacht, daß er eines Tages der älteste Peregrine sein würde mit der ganzen Last der Verantwortung. »Rowland, Basil und James hatten alle eine dunkelhaarige Mutter und daher auch schwarze Haare.«
»Und wie steht es mit Severn und Zared?«
»Severns Mutter war blond wie . . .« Seine Stimme verlor sich. Sie hatte seine Hand in ihre genommen, lag nun da und betrachtete seine Finger, verschränkte die ihren mit seinen. Was für ein seltsames Verhalten, dachte er bei sich. Er sollte sie lieber aus dem Bett schmeißen und schlafen, statt sich mit ihr über schmerzliche Erinnerungen zu unterhalten. Aber wenn er von der Zeit sprach, als seine Brüder noch lebten, tat es nicht weh.
». . . ich«, ergänzte sie mit einem Lächeln. »Und sie war auch Zareds Mutter? Aber Zared ist so ein dunkler junger Mann.«
Liana sah im Dunkeln das Lächeln auf Rogans Gesicht nicht.
»Ja, richtig. Zared hat schwarze Haare, weil er von einer dunkelhaarigen Mutter stammt. Severns Mutter starb bei seiner Geburt.«
»Also hatte dein Vater vier Frauen und sieben Söhne?«
Rogan zögerte etwas, ehe er antwortete. »Ja.«
»Es muß ein gutes Gefühl gewesen sein, Brüder zu haben. Ich habe mir oft gewünscht, daß meine Mutter noch ein Kind bekommen hätte. Habt ihr häufig zusammen gespielt, oder hat man euch Pflegeeltern zugeteilt?« Sie fühlte, wie er jählings die Muskeln anspannte, und fragte sich, ob sie etwas Falsches gesagt hatte.
»Spiele haben wir nie gekannt, und Pflegeeltern hat es für uns auch nicht gegeben.« Seine Stimme klang kalt. »Wir wurden von dem Moment an, wo wir auf unseren Beinen stehen konnten, auf das Waffenhandwerk vorbereitet. Die Howards töteten William, als er achtzehn war, James und Basil mit zwanzig und einundzwanzig, und Rowland haben sie vor zwei Jahren ermordet, kurz vor seinem dreißigsten Lebensjahr. Nun muß ich Severn und Zared beschützen.« Er packte sie bei den Schultern und hob sie an, damit er ihr in die Augen blicken konnte. »Ich habe James und Basil getötet. Ich habe sie wegen einer Frau in den Tod gejagt, und lieber sterbe ich, als daß ich so etwas noch einmal geschehen lasse. Nun laß mich in Ruhe und halte dich von mir fern.«
Er schob sie zurück auf die Federmatratze, stieg aus dem Bett und begann rasch seine Kleider anzuziehen.
»Rogan, ich hatte nicht die Absicht . . .« begann Liana, aber er war schon aus dem Zimmer. »Verdammt, verdammt, verdammt«, sagte sie und schlug mit der Faust in das Kissen, drehte sich dann auf den Rücken und starrte hinauf zur gekalkten Decke. Was hatte er damit gemeint, daß er seine Brüder getötet habe? Und wegen welcher Frau? »Welche Frau?« sagte sie laut. »Ich werde sie zum Frühstück verspeisen.«
Dieser Gedanke tröstete sie, und auch der Gedanke, daß es ja morgen wieder eine Nacht gab, wirkte beruhigend. Doch am meisten dachte sie daran, daß sie unbedingt ihre Wette gewinnen mußte.
Wenn die Bauern ihr die Diebe auslieferten, würde Rogan einen ganzen Tag lang ihr Sklave sein. Was würde sie dann mit ihm machen? Einen ganzen Tag lang mit ihm turteln? Vielleicht reichte es schon, wenn er einen ganzen Tag mit ihr zusammen verbrachte, vielleicht bei ihr blieb und ihre Fragen beantwortete. So sank sie in den Schlaf hinüber.
Am nächsten Morgen stand Liana schon zeitig auf in der Absicht, ihren Gatten zu suchen; aber der Anblick, der sich ihr unten in der Halle bot, ließ sie einen Moment lang Rogan vergessen. Die »Kammer des Burgherrn« war leer, und so stieg sie die Treppe zum Hof hinunter und suchte dann die Halle der Bediensteten auf. Sie war in diesem Bereich der Burg noch nie gewesen, und es überraschte sie nicht, dort genauso viel Unrat vorzufinden wie früher in der Lord’s Chamber. Dieser Raum war doppelt so groß wie jene, und etwa zweihundert Männer saßen an schmutzigen Tischen auf klebrigen Bänken, aßen mit Sand vermengtes Brot und tranken sauren Wein dazu. Niemand beachtete sie, als sie in die Halle kam, sondern sie fuhren fort, sich zu kratzen, zu rülpsen, sich lärmend zu unterhalten und zu furzen.
Lianas Frohsinn und dieses gute Gefühl, etwas erreicht zu haben, wichen einer großen Ernüchterung. Still ging sie wieder aus dem Raum und trat
Weitere Kostenlose Bücher