Die Zaehmung
wünschst.«
Ihre Arme hingen um seinen Hals, damit sie nicht zu Boden stürzte.
»Das ist schon besser«, sagte er und küßte ihren Hals.
Lianas Zorn schmolz dahin, und Rogan wußte das auch, denn sie konnte sein leises Lachen an ihrem Hals spüren. »Du!« sagte sie und trommelte mit den Fäusten gegen seine Schulter. »Stelle mich sofort auf den Boden zurück. Wirst du jetzt deinen Bruder töten?«
Er sah sie an und schüttelte den Kopf. »Du gibst nicht auf, bis du erreichst, was du willst, nicht wahr?«
Sie hob die Hand und streichelte seine Wange. »Nein«, sagte sie leise. »Wenn ich weiß, daß ich etwas will, gebe ich nicht eher Ruhe, bis ich es erreicht habe.«
Sein Blick wurde ernst, während er sie jetzt betrachtete, als habe ihn etwas stutzig gemacht an ihrer Antwort, und er wollte ihr gerade etwas darauf erwidern, als ein Stöhnen von Baudoin, der hinter ihm auf dem Boden lag, ihn ablenkte. Rogan setzte Liana so rasch ab, daß sie gegen einen Baum taumelte.
Als sie ihr Gleichgewicht wiederfand, sah sie Rogan über seinem Halbbruder stehen, das Messer stoßbereit in der Hand.
Liana begann zu beten. Sie schickte ein glühendes Stoßgebet gen Himmel, daß ihr Gatte diesem jungen Mann Gnade erwies.
»Und wie willst du mich töten?«
Sie öffnete die Augen und sah Baudoin gerade und stolz vor Rogan stehen. Er zeigte nicht eine Spur von Angst.
»Mich verbrennen?« fuhr Baudoin fort. »Oder mich foltern lassen? Sind deine Männer hier im Wald versteckt und können uns jetzt heimlich beobachten? Werden sie das Dorf niederbrennen — des Stückes wegen, in dem ich deine Rolle spielte?«
Liana blickte auf die beiden Männer, von denen Rogan ihr den Rücken zukehrte, und hielt den Atem an. Sie wußte, daß ihr Mann Baudoin ohne weiteres töten konnte, wenn er das wollte; aber sie betete, daß er das nicht tat. Rogan warf das Messer von einer Hand in die andere und schwieg still.
»Was tust du, um deinen Lebensunterhalt zu verdienen?« fragte Rogan schließlich.
Diese Frage schien Baudoin zu verblüffen. »Ich kaufe und verkaufe Wolle.«
»Bist du ein ehrlicher Mann?«
Baudoins Gesicht verriet seinen Zorn. »Ehrlicher als der Mann, der uns beide zeugte. Ehrlicher als meine illustren Brüder. Ich lasse meine Kinder nicht im Elend verkommen.«
Liana konnte Rogans Gesicht nicht sehen; aber sie fürchtete, daß Baudoin mit dem Hohn, den er über Rogan ausgoß, sein eigenes Todesurteil unterschrieb.
Als Rogan nun das Wort ergriff, geschah es leise und ein wenig ärgerlich. »Ich habe in den letzten Jahren eine Reihe von Brüdern verloren. Ich kann nicht noch mehr von ihnen verlieren. Wenn ich dich in meiner Burg unterbrächte, würdest du mir einen Eid der Treue schwören? Würdest du deinen Eid auch halten?«
Baudoin schien wie vom Donner gerührt zu sein — schien so erstaunt, daß er kein Wort hervorzubringen vermochte. Er hatte sein Leben lang seine Halbbrüder in ihrer Burg auf dem Hügel gehaßt. Er hatte in Armut gelebt, während sie alles hatten, was das Herz begehrte.
Liana bemerkte nun auch Baudoins Zögern und erriet dessen Ursache. Sie vermochte sich auch auszurechnen, daß Rogans Großzügigkeit sich rasch in Zorn verwandeln konnte, wenn sie nicht willig angenommen wurde. Rasch trat sie zwischen die beiden Männer.
»Hast du Kinder?« fragte sie Baudoin. »Wie viele? In welchem Alter? Wenn du bei uns leben möchtest, werde ich für ihre Erziehung sorgen. Sie können zusammen mit Rogans Söhnen in die Schule gehen.«
»Welche Söhne?« sagte Rogan und funkelte sie dabei an. Dieser Wollkaufmann weigerte sich, ihm die Gefolgschaft zu leisten, die er seinem Lord schuldig war. Er hätte ihn schon vor einer Stunde töten sollen, hatte es aber unterlassen, weil seine Frau sich einmischte. Er trat auf sie zu.
Liana nahm Baudoins Arm auf eine Weise, daß sie ihn und sich zugleich schützte. »Alle deine kleinen rothaarigen Söhne natürlich«, sagte sie mit einem breiten Lächeln. »Kann deine Frau nähen?« fragte sie dann Baudoin. »Ich brauche ein paar Frauen, die nähen können. Oder spinnen. Oder weben. Wenn du mit Rogan zur Waffenübung ausziehst, kann sie bei mir bleiben. Rogan, warum sagst du nicht deinem Bruder» — sie betonte dieses Wort — »wie hart du mit ihm trainieren wirst? Vielleicht würde er dann lieber Kaufmann bleiben und weiterhin Wolle kaufen und verkaufen.«
»Soll ich etwa versuchen, ihn zu überreden ?« sagte Rogan ungläubig. »Soll ich ihm vielleicht sagen,
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