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Die Zahl

Die Zahl

Titel: Die Zahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniela Larcher
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stellte die Tasche im Flur ab und ging ins Wohnzimmer. Da war sie also wieder.
    Morell holte eine kleine Holzschatulle aus einem Regal und öffnete sie. »Hier«, sagte er, »ich vertraue Ihnen meinen Zweitschlüssel an.« Er überreichte seinem unfreiwilligen Gast feierlich den Schlüssel, der an einem überdimensionalen Plastikbroccoli baumelte.
    »Netter Schlüsselanhänger«, lästerte Capelli.
    »So können Sie ihn wenigstens nicht verlieren.« Morell verließ den Raum. »Ich werde Ihr Gepäck ins Gästezimmer stellen«, rief er von draußen. »Sie wissen ja, wo es ist.«
    Capelli stand auf und folgte ihm.
    »Ist das eigentlich alles?«, wollte Morell wissen und zeigte auf ihre kleine Reisetasche. »Ich dachte immer, Frauen schleppen den halben Hausrat mit sich herum, wenn sie für ein paar Tage verreisen.«
    »Ich bin eben nicht wie alle Frauen«, sagte Capelli und zog ihre Schuhe aus.
    ›Stimmt‹, dachte Morell. Nicht viele Menschen verdienten ihr Brot damit, Leichen aufzuschneiden. Außerdem kannte er keine Frau, die freiwillig pink-giftgrün gestreifte Ringelsocken anziehen würde. Er starrte auf Capellis Füße.
    »Selbstgestrickt«, sagte sie, als hätte sie seine Gedanken erraten, und amüsierte sich über seine Verlegenheit.
    »Sie haben sich ja gestern schon ein wenig mit dem Haus vertraut gemacht«, lenkte Morell von den hässlichsten Strümpfen der Welt ab. »Ich muss leider wieder zurück aufs Revier, um Inspektor Bender zu retten. Der arme Kerl wird nämlich mit Anrufen bombardiert und von ein paar besorgten Großmüttern belagert. Wenn ich wieder zurück bin, koche ich uns Abendessen.«
    Capelli ließ sich aufs Bett fallen. So hatte sie sich ihren Urlaub zwar nicht vorgestellt, aber man sollte ja immer flexibel bleiben.
    Als Morell weg war, drehte sie eine Runde durch das Haus. Es gefiel ihr, wie der Chefinspektor die großzügigen Räume eingerichtet hatte: schlicht, aber mit sehr viel Klasse. Sie konnte keinen Kitsch, keinen Ramsch und, einmal abgesehen von dem Gästeschlüsselanhänger, keinen überflüssigen Krempel sehen.
    Besonders angetan war sie von Morells Lagerraum im Erdgeschoss. Dort duftete es nach Äpfeln, die in mehreren Holzkisten gelagert waren, und die vielen Pflanzen, die hier überwinterten, verliehen dem Raum etwas Exotisches.
    In einem hohen Regal hinter der Tür entdeckte Capelli eine große Ansammlung von Einweckgläsern, die mit selbst gemachter Marmelade gefüllt waren. Sie musste schmunzeln, als sie sich vorstellte, wie der massige Chefinspektor, mit einer Schürze bekleidet,
Beeren einkochte. Der schrullige Polizist war wirklich ein Fall für sich.
    Capelli ging wieder zurück in den ersten Stock, holte sich aus der Küche einen Teller mit selbst gebackenen Keksen und setzte sich im Wohnzimmer aufs Sofa. Vielleicht war es hier in Landau doch nicht so übel. Sie konnte in Ruhe ihren Bericht fertigstellen, faulenzen, lesen, ein wenig fernsehen, und einen Internetanschluss hatte ihr Gastgeber auch. Sie war also nicht ganz abgeschnitten vom Rest der Welt.
    Außerdem bewahrte sie ihr unfreiwilliger Aufenthalt davor, sich einem Macho-Italiener an den Hals zu werfen und eine peinliche Abfuhr zu kassieren. Sie steckte sich einen Keks in den Mund, schloss die Augen und kaute genüsslich.
    »Na, mein fetter Freund«, sagte sie, als Fred ins Wohnzimmer gekugelt kam. »Sieht so aus, als müsstest du dich an mich gewöhnen.«

»Nun ging der Tod mit Philip und seinen zwölf
gewonnenen Seelen weiter, dem Himmel zu.«
    Der gute schlaue Philipp, Schwäbisches Märchen
    Gegen zwanzig Uhr kam Morell, vollbepackt mit Einkäufen, wieder nach Hause.
    »In einer Stunde gibt es Abendessen«, verkündete er. »Ich habe beschlossen, mir mein schlechtes Gewissen einfach von der Seele zu kochen.«
    »Warten Sie, ich helfe Ihnen«, sagte Capelli und begann die Tüten auszupacken. »Wie war Ihr Tag?«, wollte sie wissen. »Es ist doch sicher aufregend, den spektakulärsten Mordfall in der Geschichte von Landau zu bearbeiten?«
    »Fragen Sie nicht«, stöhnte Morell. »Der ganze Ort ist in Aufruhr. Sie können sich gar nicht vorstellen, mit was für Aussagen ich mich heute schon herumschlagen musste. Ich war wirklich erschüttert, was einige Menschen alles von sich gegeben haben. Den Satz ›Es war ganz sicher einer von den Touristen‹ habe ich heute mindestens zwanzigmal gehört. Andere Hauptverdächtige sind ›die Araber und die Russen‹.«
    Morell atmete tief ein. »Ein paar der älteren

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