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Die Zahlen Der Toten

Die Zahlen Der Toten

Titel: Die Zahlen Der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Castillo
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machen Sie da?«, bringe ich hervor.
    »Vermutlich alles vermasseln.«
    »Darin sind Sie gut, stimmt’s?«
    »Wenn Sie wüssten.« Er senkt den Kopf, beugt sich vor und presst seinen Mund auf meinen. Die Berührung erfüllt mich mit Schrecken und Freude. Seine festen Lippen sind warm, sein schneller Atem streift meine Wange. Ich bin versucht, mich zu öffnen und mit ihm die nächste Stufe zu erklimmen, doch ein über die Jahre entwickelter, tief verwurzelter Schutzinstinkt lässt das nicht zu. In puncto Leidenschaft ist der Kuss eher gewöhnlich. Aber seine Wirkung ähnelt einer Maschinengewehrsalve.
    Ich erinnere mich nicht, mich bewegt zu haben, doch plötzlich umschlinge ich mit den Armen die festen Muskeln seiner Schultern, die vor Anspannung zittern. Sein Kuss wird fordernder, er schiebt die Zunge zwischen meine Lippen, ich lasse ihn ein, genieße das immer drängendere Spiel unserer Zungen. Sein Aftershave duftet nach Kiefer und Moschus. Ich bebe vor Begehren, als er seine harte Männlichkeit an mich presst, und bin feucht zwischen den Beinen.
    Ich bin nicht völlig unerfahren in Liebesdingen. Während meiner Zeit in Columbus hatte ich ein paar belanglose Affären und eine ernsthafte, jedoch gescheiterte Beziehung. Aber das ist alles schon eine Weile her und ich bin ziemlich eingerostet. Doch er scheint es nicht zu bemerken.
    Er nimmt mein Gesicht in beide Hände, ich öffne die Augen und sehe, dass er mich anstarrt, überrascht und perplex. Unser Atem klingt, als wären wir gerade einen Marathon gelaufen.
    Er streichelt mir mit den Knöcheln über die Wange, und die sanfte Berührung lässt mich erzittern. »Das war unerwartet«, sagt er.
    »Aber nett.«
    »Mehr als nett.«
    Ich nehme seine Hände von meinem Gesicht, doch ich kann nicht aufhören, ihn anzusehen. Mein Mund prickelt noch von dem Kuss. »Das Timing könnte besser sein.«
    »Daran muss ich wohl noch arbeiten.«
    Ein Klopfen an der Tür zerstört den Augenblick. »Erwartest du jemanden?«
    »Nein.«
    Ich gehe zur Tür und sehe durch den Spion. Glock steht auf der Veranda, die Mütze wegen des eisigen Windes tief ins Gesicht gezogen. Sofort denke ich, sie haben eine neue Leiche entdeckt. »Was ist passiert?«, frage ich und bitte ihn mit einer Handbewegung ins Haus.
    »Chief.« Beim Anblick von Tomasetti kriegt Glock große Augen. »Detrick hat gerade jemanden verhaftet.«
    »Was?«,
entfährt es mir. »Wen?«
    »Jonas Hershberger.«
    Das kann nicht wahr sein. Ich kenne Jonas, bin mit ihm zur Schule gegangen. Jedenfalls bis zur achten Klasse, das letzte Schuljahr bei den Amisch. Er lebt auf einer heruntergekommenen Schweinefarm ein paar Meilen vom Fundort von Amanda Horners Leiche entfernt.
    »Er gehört zu den sanftmütigsten Menschen, die ich je kennengelernt habe«, sage ich.
    »Es gibt Beweise, Chief.«
    »Was für welche?«, mischt Tomasetti sich ein.
    »Blut. Auf Hershbergers Farm.«
    »Wie kam es zu der Verhaftung?«, frage ich.
    »Wir haben die ganze Gegend abgesucht, Detrick hat einen verdächtigen Fleck entdeckt und einen Schnelltest machen lassen, ob es Blut ist. Es war Blut. Er hat gefragt, ob er die Farm durchsuchen darf, und Jonas hat zugestimmt.« Glock zuckt die Schultern. »Einer von Detricks Deputys hat ein Kleidungsstück gefunden, das einem der Opfer gehören könnte. Detrick hat die ganze Farm absperren lassen, weil er hofft, noch mehr zu finden. Im Moment ist ein Kriminaltechniker vom BCI vor Ort, und Detrick und der Ermittlungsleiter sind mit Hershberger im Vernehmungszimmer. Sieht ganz so aus, als sei er unser Mann.«
    John blickt mich an. »Ich muss hin.«
    Ich würde unheimlich gern mit ihm gehen, ein Bedürfnis quälender als körperlicher Schmerz. Meine Nerven sind zum Zerreißen gespannt, und ich renne hin und her. Tomasetti zieht den Mantel an. »Gottverflucht«, stoße ich leise aus.
    Er kommt durchs Zimmer und legt mir die Hand auf die Schulter. »Ich rufe dich an, sobald ich mehr weiß.«
    Zu wütend, um zu antworten, nicke ich.
    Glock ist schon vorausgegangen. Tomasetti wirft mir einen letzten Blick über die Schulter zu und geht hinterher. Ich folge ihnen auf die Veranda, spüre die Kälte kaum, sehe beide in ihre Autos steigen und losfahren.
    »Verdammt«, flüstere ich.
    Und ich frage mich, ob Gott nach all den Jahren beschlossen hat, mich dafür zu bestrafen, was ich getan – und nicht getan – habe.

29. Kapitel
    Manche Abende sind dunkler, kälter und länger als andere. Heute ist so einer. Obwohl es erst

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