Die Zahlen Der Toten
schnell.«
»Okay.«
»Ich hab keine Lust, im Graben zu landen«, sagte sie gereizt.
»Geht mir genauso.« John holperte mit dem Wagen über eine Schneewehe, bremste vor der nächsten Kurve, sah ein Sackgassen-Schild und nahm den Fuß vom Gas.
»Hier. Stopp.«
Der Tahoe rutschte bis einen halben Meter vor ein Holzgeländer und kam zum Stehen. Tomasetti blickte sich um. Keine Autos, keine Reifenspuren. »Wie weit ist es zum Tatort?«
»Vierhundert Meter.« Sie zeigte auf den Wald. »Da geht ein Pfad durch.«
»Wir müssen laufen?«
»Ist der kürzeste Weg.«
»Scheiße.«
Sie stiegen aus, blieben kurz stehen und hielten nach Reifenspuren Ausschau. »Sieht nicht so aus, als wäre hier jemand gewesen«, sagte er.
»Auf der anderen Seite des Feldes gibt es noch eine Straße.« Sie drückte aufs Funkmikro. »Glock. Wir sind auf der Hogpath Road. Nehmen Sie die Fokerth Road. Wenn der Kerl noch hier irgendwo ist, können Sie ihn da vielleicht abfangen. Achten Sie auf Reifenspuren.«
Sie gingen zu der Stelle, wo der Pfad durch den Wald führte.
»Gibt’s noch einen anderen Weg?«, fragte John.
»Wenn Sie ein Schneemobil und eine Drahtschere haben, können Sie aus allen Richtungen kommen, ohne gesehen zu werden.«
Kate übernahm die Führung, und er joggte hinterher. Es hatte eine Zeit in seinem Leben gegeben, da war er körperlich fit gewesen, hatte Gewichte gestemmt und war jede Woche zehn Meilen gelaufen. Doch sein selbstzerstörerischer Lebensstil der letzten beiden Jahre forderte seinen Tribut. Nach hundert Metern fing er an zu keuchen, und nach weiteren fünfzig bekam er Seitenstiche, die sich anfühlten wie ein Herzanfall. Im Gegensatz dazu schien Kate in ihrem Element zu sein. Gute Ausdauer, große Schritte und die Bewegung der Arme und Beine perfekt aufeinander abgestimmt. Eine Läuferin, dachte er. Und noch etwas fiel ihm auf: Je näher sie dem Tatort kamen, desto schneller wurde sie.
Um sie herum sorgten die Bäume und der Schnee für ein seltsam schwarzweißes Zwielicht. John versuchte zu lauschen – vielleicht hielt sich der Gesuchte hier irgendwo verborgen –, doch er hörte nichts weiter als sein eigenes Blut in den Ohren rauschen und seinen keuchenden Atem. Und gerade als er nicht mehr konnte und anhalten wollte, öffneten sich die Bäume zu einer Lichtung. Dahinter lag ein zugefrorener Teich, in dem sich der schiefergraue Himmel spiegelte. Drei Leute standen dicht aneinandergedrängt am Ufer, ein Mann in Jeansjacke, eine Frau in einer Daunenjacke und ein Mädchen mit Schlittschuhen an den Füßen.
»Das sind sie«, sagte Kate.
»Gibt es einen Grund, ihnen nicht zu trauen?«
Kopfschüttelnd steuerte Kate auf sie zu. »Es ist eine nette Familie.«
John wusste, dass auch nette Familien Geheimnisse hatten.
Kate war als Erste bei ihnen. Obwohl in dieser Stadt jeder jeden zu kennen schien, zeigte Kate ihre Dienstmarke und stellte sich vor. Die Frau und das Mädchen weinten, die Wangen rot vor Kälte. Das Gesicht des Mannes war wie versteinert, und er hatte trotz der eisigen Temperaturen Schweißperlen auf der Stirn.
»Wo ist die Tote?«, fragte John.
»Ein M… Mann. Auf einem Schnee…mobil.«
»Wo?«
»Dahinten beim Bach. Zwischen den Bäumen.«
»Kannst du mir sagen, wie er ausgesehen hat?«, fragte Kate.
Das Mädchen klapperte unkontrolliert mit den Zähnen. »Er war zu weit weg.«
»Hat er eine Jacke oder einen Mantel getragen? Erinnerst du dich an die Farbe? Oder vielleicht an seinen Helm? Das Schneemobil?«
»Blau, vielleicht. Ich weiß es nicht. Ich habe ihn nur ganz kurz gesehen.«
Kate wandte sich an die Eltern des Mädchens. »Bleiben Sie hier.« Sie selbst machte sich auf den Weg übers Eis, gab übers Ansteckmikro die Information weiter: »Es gibt Hinweise, dass der Verdächtige ein Schneemobil fährt.«
Obwohl ihre Stimme ruhig und das Auftreten souverän waren, hatte John das untrügliche Gefühl, dass irgendetwas in ihr vorging. Hatte es mit der Entdeckung einer neuen Leiche zu tun? Oder war da noch etwas anderes? War er bloß paranoid? Oder verschwieg ihm Kate Burkholder etwas?
»Warum hat er die Leiche so weit hier rausgebracht?«, fragte sie ihn.
»Kommen viele Leute hierher? Zum Eislaufen?«
Sie sah ihn an. »Um diese Jahreszeit ist an Wochenenden ziemlich viel los.«
»Maximale Schockwirkung.«
Sie erklommen den Erdwall, und John sah die Schlittschuhspuren des Mädchens, die Messerschnitten im Schnee glichen.
»Dort.« Kate zeigte zu den Bäumen. »Wo
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