Die Zarin (German Edition)
Gesicht.
Sie schrie vor Wut auf und schlug gegen meine Augen, so daß ich hintenüberfiel und mich schmerzhaft an der Armlehne des Stuhles stieß. Sie selber rappelte sich auf und hob die Gerte nun zu einem gezielten Schlag. »Wenn ich mit dir fertig bin, schaut dich keiner mehr an!« drohte sie.
Ich schloß die Augen und hob die Arme über mein Gesicht, um es vor einer Verletzung zu schützen. Doch zu meinem Erstaunen blieb der Schlag aus. Statt dessen hörte ich nur Warwara Arsenjewa vor Schmerz winseln. Eine wohlbekannte Stimme donnerte: »Was ist hier los, in drei Teufels Namen?! Kann man denn euch Weibsvolk keinen Augenblick aus den Augen lassen!«
Ich traute meinen Ohren nicht und öffnete vorsichtig die Augen. Peter, den ich weit jenseits der Sperlingsberge wähnte, hielt Warwara grob an den Haaren gepackt und bog ihr den Kopf nach hinten. Sie spuckte vor Wut, und es schien einen Augenblick zu dauern, bis sie ihn erkannte.
»Furie! In deine Räume!« fuhr er sie an und entwand ihr die Gerte. Mich sah er noch nicht an, und ich nutzte die Zeit, um mir einen der Ohrringe, den er mir geschenkt hatte, grob vom Ohr zu reißen. Blut quoll augenblicklich aus meinem Ohrläppchen auf mein gelbes Samtkleid, und die feine Klemme des Schmucks zerbrach. Ich weinte auf vor Schmerz.
»Oh Peter, oh Peter, sieh doch nur, was sie mir angetan hat!« jammerte ich, und meine Tränen flossen, ohne daß ich mich dazu zwingen mußte. Der Schreck und der Schmerz in meinen Gliedern waren echt. Das Blut floß bis hin zu meinem Hals, und über meinen Ausschnitt zog sich von Warwaras Schlag ein feuerrotes Mal. Ich schluchzte auf: »Sie haßt mich! Sieh doch, was sie mit dem Ohrring deiner Mutter gemacht hat! Und schau, wie sie mich verwundet hat! Sie wollte mich töten, weil ich dir ergeben bin!«
Ich sah zu Warwara, die mich fassungslos anstarrte, und meine Tränen flossen noch reichlicher. Dem grausamen Weib wollte ich es zeigen! Peter starrte auf mein Blut und fuhr dann mit dem Finger verwirrt über meine feuchten Wangen und das Mal auf meiner Brust. Aber der Anblick des zerstörten Ohrrings seiner Mutter allein versetzte ihn in unglaubliche Wut.
Warwara stammelte sinnlos: »Das ist nicht wahr! Nein, ich habe nichts mit dem Ohrring zu tun!«
Der Zar wandte sich zu ihr. Sein Gesicht war von ungesund roter Farbe. Er hob nun selber die Gerte, und einen unglaublichen Augenblick sah es aus, als wolle er sie damit schlagen. Sie wich einige Schritte zurück.
»Von dannen! Ich will dein Gesicht nicht mehr sehen, Hexe! Du kannst froh sein, wenn ich dich nicht in die Spinnereien verbannen lasse, böses Weib!« schrie er. Er fuhr mit der Gerte durch die Luft, so daß das Leder gierig schmatzte. Warwara schlug die Hände vor ihr Gesicht und lief davon. Ihre nackten Füße machten klatschende Geräusche, die sich im Gang verloren. Ich sandte ein kleines Gebet zu dem Gott, der es gerade hören wollte. Peter wandte sich zu mir, und sein Ausdruck war besorgt und liebevoll.
»Mein Mädchen! Matka ! Das hast du für mich erdulden müssen!«
Ich nickte schwach und weinte noch mehr. Er nahm mich in den Arm und wiegte mich einen Augenblick sanft hin und her. Ich schlang die Arme um seinen Nacken und weinte ohne Hemmung die Schulterklappen seiner Uniform naß. So verharrten wir einige Augenblicke, ohne ein Wort zu sprechen. Das Knacken der Scheite war der einzige Laut im Raum. Er tröstete mich, wie man ein Kind tröstet, das sich das Knie auf einem harten Stein aufgeschlagen hat. In diesem Augenblick betraten Menschikow und Darja den Raum. Darja schrie erschrocken auf, als sie meinen Zustand sah. Sie eilte zu mir und half mir auf. Peter vergewisserte sich, daß ich stehen konnte, und nahm dann einige Goldmünzen aus seinem Gürtel. Er hielt sie Menschikow hin. Dieser ließ jedoch seine Arme vor der Brust verschränkt.
»Hier, nimm, Alekascha«, befahl Peter ungeduldig. »Für das Mädchen.« Er zeigte auf mich. Mein Herz schlug schneller. Er wollte mich nicht alleine hier zurücklassen!
Menschikow jedoch schüttelte den Kopf. »Martha steht nicht zum Verkauf, mein Herrscher.«
Peter machte ein ärgerliches Gesicht und holte noch mehr Geld aus dem Beutel. »Hier nun, du gieriger Hund, Menschikow! Manchmal habe ich wirklich Lust, dir die Peitsche zu geben!«
Doch Menschikow blieb in derselben, ablehnenden Haltung stehen. Mir wurde Angst, und das Blut rauschte in meinen Ohren. Weshalb um Himmels willen ließ er mich denn nicht gehen? Ich weinte
Weitere Kostenlose Bücher