Die Zarin (German Edition)
einzustellen. Diese sprachen schon bald die russische Sprache mit einem weichen, schmeichelnden Akzent. Sie entzückten mit ihren langen Beinen in schmalen Hosen die Augen der damy und verstanden sich wohl auf die neue sten Tänze und wohl noch auf allerhand andere Spiele. Im folgenden Jahr erfreuten sich einige der ältesten russischen Familien an gesundem und wohlgestaltetem Nachwuchs.
Doch mehr als die Tändeleien der damy beschäftigte mich Anna Menschikowa das Frühjahr über: Die verfängliche Situation mit dem Herren de Viera, genannt Devier, an meinem ersten Abend bei der trunkenen Synode war kein einmaliger Vorfall gewesen. Anna Menschikowa liebte den jungen Portugiesen von Herzen. Sie lebte lieber mit ihrem Ruf einer alten Jungfer, als einen anderen Mann zu heiraten. Ich unterhielt mich endlose, geduldige Nachmittage lang mit ihr über eine mögliche Zukunft ihrer Liebe. Doch alle Ratschläge endeten nur damit, daß Anna weinte und den Kopf schüttelte.
»Ich werde ihn nie heiraten können«, meinte sie und schnäuzte sich in eines meiner neuen seidenen Taschentücher. Dann knüllte sie es zusammen und schob es sich wie ein Bauernweib in den engen Ellenbogen ihres französischen Kleides.
»Und weshalb nicht?« fragte ich erstaunt.
Sie sah mich aus großen, rotgeweinten Augen an. »Wegen meines Bruders natürlich!«
»Alexander Danilowitsch?« Nun war ich aber ehrlich erstaunt.
Sie nickte. »Was glaubst denn du! Denkst du etwa, es hätte noch niemand versucht, um meine Hand anzuhalten? Dazu ist Alexander doch viel zu mächtig. Nein, Martha, ich bin schon seit langem eine begehrenswerte Frau für jeden aufstrebenden jungen Mann in Moskau.«
»Also, wo liegt dann das Problem?« fragte ich trocken nach.
Sie zuckte die Schultern und ihre Tränen flossen wieder. »Alexander läßt jeden von seinen Kammerjunkern greifen, kräftig stäuben und aus dem Palast werfen, der ihm mit einem Antrag um meine Hand kommt!« Ihre Verzweiflung war so groß, daß ich ihre Worte kaum noch verstand.
»Und Devier? Hat er auch schon bei ihm um dich angehalten?« versicherte ich mich.
Sie nickte. »Ach, viele Male schon! An dem Tag, an dem Menschikow dich dem Zaren zum Geschenk gemacht hat, hat Devier das letzte Mal bei ihm vorgesprochen. Es war schon das vierte Mal! Alexander wurde so wütend, daß er ihn persönlich gestäubt hat. Meinen Antonio zu schlagen! Mein Bruder hat seinen Stock auf Deviers Rücken zerbrochen. Oh, was soll nur werden …« Ihr Weinen und ihre Wut schluckten den Rest ihrer Worte. Sie begann, sich auf die Knöchel zu beißen, und ihre Tränen zogen tiefe Spuren über ihr kalkweiß geschminktes Gesicht. Devier war nun mit Peter abgereist in einen Krieg, in dem er sich dadurch auszeichnete, jeden Befehl des Zaren ohne weitere Fragen auszuführen.
Anna Menschikowa hatte mir in den ersten einsamen Monaten des neuen Jahres dabei geholfen, einen Schreiber zu bekommen: Peter hatte seinen eigenen Sekretär und Kabinettmeister Makarow, den er »seinen Schatten, seine Augen und seine Ohren« nannte, mit ins Feld genommen. Ich schrieb ihm täglich leichte Worte über den Klatsch und das Vergnügen am Hof. Ich erzählte ihm auch von den Abenden, die ich in Gesellschaft von Apraxin verbrachte. Einige Wochen nach Apraxins Aufbruch, als die Tage langsam länger wurden, begann der Zar, mir zu antworten. Da wagte ich es, ihm von dem Unglück der Geschichte zwischen Anna Menschikowa und Devier zu berichten. Ich wußte, daß diese Nichtigkeiten ihn erheiterten. Vier Wochen später, als ich endlich sehr zögerliche Anzeichen des Frühlings entdecken konnte, wurde Devier nach Moskau gesandt: Er hatte Anna Menschikowa zu heiraten, und zwar sofort. Nach der Feier, dem Festmahl und der Hochzeitsnacht verließ er Moskau augenblicklich wieder. Der Zar und der Große Nordkrieg benötigten jeden Mann.
Anna Menschikowa war nur eine der treuen Freundschaften, die sich in jenen Tagen bildeten: Als ich eines Abends bei Fjodor Apraxin vorstellig wurde, stand bereits eine andere Sänfte im Hof. Auf ihre Türen war der russische Doppeladler gemalt. Die Träger, die in der Wärme der Fackeln und der Kohlepfannen am Eingang saßen, waren wohlgenährt und -gekleidet. Als ich die Bibliothek betrat, erkannte ich in der Frau, die neben Apraxin über ein Papier gebeugt am Feuer saß, die Schwester des Zaren.
Ich hatte die Zarewna Natalja Alexejewna Romanow natürlich über die Neujahrszeit oft am Hof gesehen. Sie war für eine Frau
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