Die Zarin (German Edition)
steckte meine Locken unter einem Hut polnischer Art fest, den ich tief in die Stirn zog. Ich sah so aus wie ein junger Mann, obwohl Darja und ich in Gelächter ausbrachen, als sie mir vielsagend auf den Busen klopfte. Natalja Alexejewna Romanow gab mir etwas Geld und stellte mir einen treuen und erfahrenen Begleiter mit einer guten Pistole zur Seite: Peter Andrejewitsch Tolstoi. Er war gerade von Peter wieder an die Front berufen worden und sollte nach einem Aufenthalt im Feld als Gesandter nach Konstantinopel geschickt werden. Wenn er von der Idee, eine junge Frau mit sich durch die Weiten Rußlands zu nehmen, nicht begeistert war, so ließ er sich das nicht anmer-ken.
Wir verließen Moskau unauffällig in einer der Postkutschen an einem Morgen im späten März 1703. Hinter der Kutsche ritten sechs schwerbewaffnete Soldaten. Als wir die Sperlingsberge am folgenden Tag erreichten, sah ich zurück. Rauch stieg aus den unzähligen Schornsteinen Moskaus auf. Die Kuppeln und Türme ragten stolz in den blendend hellen Himmel jenes Frühjahrs. Der Schnee war geschmolzen, und unsere Kutsche nahm schnell Werst für Werst. Nach der Hälfte der Poststationen verließen meine Begleiter und ich die allgemeine Kutschenstrecke, und wir reisten alleine zu Pferd weiter. Die Ritte waren lang und hart, doch gleichzeitig liebte ich das Gefühl des Windes in meinem Haar und die Müdigkeit in meinen festen Muskeln und Gliedern, die mich am Ende des Tages ergriff. Zudem wollte ich den Männern in nichts nachstehen und ihnen ihre Reise nicht noch erschweren. Die Monate in Moskau hatten mich faul und dick werden lassen: Ich hatte sogar anfangen müssen, persische Minze gegen schlechten Atem zu kauen.
Wir ritten durch zerstörtes Land. Wie bei jedem Krieg war es die einfache Bevölkerung, die am meisten litt. Die isby aus Lehm waren zerstört. Häuser aus Holz niedergebrannt und Gebäude aus Stein waren geplündert und ihre Mauern geschliffen worden. In den Wäldern sah man hier und dort abgemagerte Rinder mit blödem Blick durchs Dickicht wanken. Wilde Tiere oder streunende Söldner würden sie früher oder später finden.
Wir waren wohl noch zwei Tagesritte vom Lager des Zaren entfernt, als Peter Andrejewitsch Tolstoi unser Nachtlager an den Trümmern einer Kirche aufschlagen ließ. Von dem mir , zu dem sie einst gehört hatte, war außer den Grundmauern der abgebrannten Häuser und einem kleinen Friedhof nichts mehr zu sehen. Auch auf ihm waren die Grabsteine zertreten und herausgerissen worden. Der Krieg achtete selbst den Tod nicht. Während Peter Andrejewitsch Tolstoi mit zwei Soldaten im Wald verschwand, um Hasen oder Birkhühner für uns zu erlegen, wanderte ich durch die Trümmer. Ich betrat den ausgebrannten Kirchenraum. Das Dach aus Stroh war dem Feuer zum Opfer gefallen, und die schweren Kreuzbalken, die es einst trugen, waren in sich zusammengefallen. Die Bänke waren wohl zu Feuerholz verarbeitet worden. Der Altar war halb eingetreten und von Ruß geschwärzt. Alles, was in der Kirche je an Verzierung vorhanden gewesen war, war gestohlen, zerstört oder verbrannt worden. Das erste zarte Grün schlang sich schon an den eingefallenen Säulen hoch: Die Natur nahm bereits wieder Besitz von ihrem Eigentum. Die Erinnerung an die sorglose Zeit im Haus der Glücks holte mich ein, und ich spürte meine Nase von all den ungeweinten Tränen kitzeln. Ich streifte meine Handschuhe ab und breitete meinen langen, wollenen Umhang vor dem Altar aus. Es war unbequem, sich in den langen Stiefeln niederzuknien, doch ich faltete meine Hände und betete zu dem Gott, der mir soviel Gutes getan hatte. Nun gab ich mich wieder in seine Hand. Ich konnte nur vertrauen. Als ich wieder nach draußen trat, stand der volle, weiße Mond hoch am Himmel. Die Büsche und Gräser um mich herum verflochten sich zu einem undurchdringlichen Netz.
Wir teilten uns brüderlich die beiden kleinen, noch vom Winter mageren und sehnigen Kaninchen, die Tolstoi und einer der Soldaten erlegt hatten. Die Nacht war klar, und Tolstoi und ich sahen hoch in die Sterne und sprachen leise von unserem Leben, ehe uns die Augen schwer vor Müdigkeit zufielen. Ein Soldat, der ein von Wölfen verunstaltetes Gesicht hatte, hielt freiwillig in jener Nacht die Wache. Er haßte die Wölfe seit seiner Entstellung so, daß er sie jagte, tötete und sich ihre Schwänze an den Umhang nähte. Vor lauter Fell war schon fast kein Stoff mehr daran zu sehen. Zudem waren auch vereinzelt
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