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Die Zarin (German Edition)

Die Zarin (German Edition)

Titel: Die Zarin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellen Alpsten
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hochgewachsen, hatte ein weiches Gesicht, und es hieß, sie sei von edlem, freundlichem Gemüt. Als Tochter und Schwester eines Zaren war sie in jenen Tagen noch zur Ehelosigkeit verdammt: Kein Russe war hochgestellt genug, um um ihre Hand anhalten zu dürfen. Selbst die Regentin Sophia hatte es nie gewagt, ihren Geliebten, den klugen und ehrgeizigen Prinzen Wassili Golizyn zu heiraten. Gleichzeitig konnte eine Zarewna keinen andersgläubigen – oder nach Ansicht der Russen ungläubigen – Herrscher aus dem Westen heiraten. Peter liebte und ehrte seine Schwester von Herzen und vertraute ihr zutiefst. Er ließ ihr freie Wahl in den meisten Dingen und versuchte auch nicht, sie zur Teilnahme an seinen wilden Festen zu überreden. Dafür widmete sie sich dem Theater und der Erziehung des Volkes in Moskau. Im ersten Mond nach Neujahr erschien in Moskau die erste Ausgabe eines Blattes: Diese »Wedomosti« war eine unerhörte Neuigkeit! In den Kaffeehäusern las man nun von fernen Ländern, dem Leben am Hof, der russischen Politik und dem Fortgang des Krieges. Natalja und Apraxin hielten gerade die erste Ausgabe in der Hand, als der Diener mir die Tür zur Bibliothek aufstieß und mich ankündigte.
    Ich machte einen Knicks, und ich musterte die Zarewna scheu. Nachdem die Zariza Jewdokija verbannt war und Peters Mutter Natalja Narischkina schon vor Jahren verstorben war, war Zarewna Natalja nun die erste dama am Hof. Doch schon bald waren wir in ein munteres Gespräch über das Spiel und das Theater vertieft. Peter selbst war von den Bühnen eher gelangweilt, doch um seiner Schwester einen Gefallen zu tun, holte er einen Mann namens Johann Christian Kunst aus Danzig, wo dieser ein Theater leitete. Für ein stattliches Gehalt siedelte er samt seiner Frau, ihren sieben Kindern und der gesamten Truppe nach Moskau über.
    »Der Deutsche war von den verwahrlosten, wilden Zuständen unserer Moskauer Bühnen entsetzt!« lachte Natalja. »Kein Wunder – kein Mensch von Stand geht bei uns ins Theater! Mein Vater hatte eine Bühne, aber dies eher mißmutig und aus Ehrgeiz – die Schauspieler waren nur am Hof, weil er dachte, daß sich das für einen echten Herrscher des Westens gehört!« Sie schüttelte den Kopf bei der Erinnerung an die Schauspiele ihrer Jugend. »Es war schrecklich – die Moskauer zeigen nie, wenn ihnen ein Stück gefällt. Aber sie haben sofort ihr faules Obst und ihre Nußschalen bei der Hand, wenn sie nicht zufrieden sind!«
    Apraxin lachte auch. »Ich habe den Meister Kunst oft getroffen, als er hier ankam. Jeden zweiten Tag war er in Tränen aufgelöst und wollte wieder abreisen! Dann aber ließ der Zar im Kreml nahe der Nikolski-Tore ein Theater, ein komediny dom , für ihn bauen. Der arme Golowin, der für den Bau verantwortlich war, wußte gar nicht, wo er anfangen sollte. Was hatte er im Außenministerium denn mit einem Theater zu schaffen! So wurde der Auftrag von Amt zu Amt geschoben, von der Schatzmeisterei bis ins Kriegsministerium. Außerdem sah man auch nicht ein, weshalb ein Theater Ausstattung oder Kostüme benötigt. Alle dachten, Kunst wolle nur seine eigenen Taschen füllen!«
    Am folgenden Abend schon begleitete ich die Zarewna Natalja in das Theater und sah eine Vorstellung eines französischen Schreibers namens Molière. Im Schlitten versuchte sie mir die Handlung des Stückes zu erklären, was auch besser war: Wir verstanden im Theater nicht sehr viel, denn das Stück war erst ins Deutsche, dann ins Lateinische und schließlich ins Russische übersetzt worden. Das Publikum lachte oder schrie an vollkommen unpassenden Stellen, und zwei der Schauspieler konnten oder wollten sich ihren Text nicht merken. Natalja erstickte ihr Lachen vornehm hinter ihrem Fächer aus Elfenbein und Seide und klatschte dann huldvoll mit ihren zarten Händen, die in der Familie zu liegen schienen, den sich eifrig verneigenden Spielern zu. Kunst selbst stand mit puterrotem Gesicht auf der Bühne. Seit jenem Abend hatte ich die Ehre, die Zarewna Natalja Alexejewna meine Freundin zu nennen.
     
    Meine Tage in Moskau in jenem Winter und Frühjahr waren bequem, bunt und voller Leben, aber dennoch fühlte ich mich unruhig. Nun, wenn mein Schicksal nicht zu mir kam, so wollte ich es suchen gehen!
     
    Es war an einem der ersten Frühlingstage. Die blasse Sonne kämpfte noch um die Kraft, die sie nun mit jedem Tag gewinnen sollte. Die Staubkörner tanzten im hellen Licht, das durch die kleinen Fenster des Kreml auf die

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