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Die Zarin (German Edition)

Die Zarin (German Edition)

Titel: Die Zarin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellen Alpsten
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Papierstapel auf dem Schreibtisch vor mir fiel. Der junge Schreiber sah mich unsicher an: Ich hielt ihm Makarows kaiserliches Zweitsiegel hin, das dieser für den Notfall und für ukasy in Abwesenheit des Zaren in Moskau aufbewahrte. Dann schüttelte er den Kopf: »Nein, Martha. Das kann mich den Kopf kosten. Weißt du, welche Strafe auf den Mißbrauch des Zarensiegels steht? Tod durch Ersticken, indem man dir geschmolzenes Metall in den Rachen gießt. Das kann ich nicht tun. Weshalb schreibst du nicht einfach an den Zaren und bittest ihn um Erlaubnis, ihn zu besuchen?«
    »Weil er es mir nicht erlauben wird! Sie stehen vor Nyenschantz, und die Schweden werden die Stellung um jeden Preis halten wollen! Er will keine Frauen im Lager haben«, erwiderte ich.
    »Na also«, sagte der Schreiber und verschränkte die Arme vor der Brust.
    Ich schob das von Makarow hinterlassene Siegel wieder zu ihm über den Tisch. Er schüttelte störrisch wie ein Esel den Kopf.
    »Ich muß zu ihm. Bitte! Ich brauche den Passierschein, um durch die Front zu kommen. Und der Passierschein ist nur gültig, wenn das Siegel darauf ist«, flehte ich noch einmal und stützte mich mit beiden Händen auf seinen Tisch.

Er nickte. »Ich verstehe schon. Nur, wenn ich dieses Siegel benutze, so ist das mein sicherer Tod. Das ist Makarows Siegel, und ich sage dir, Mädchen, er versteht keinen Spaß damit.«
    »Es soll dein Schaden nicht sein«, beharrte und lockte ich weiter.
    »Nein«, sagte er wieder und sah aus dem Fenster hinaus auf den Roten Platz: Händler boten ihre Waren feil, Aussätzige bahnten sich mit Glocken an den Handgelenken ihren Weg zur Speisung, Kinder rannten um die Wette, die Sänften der damy kreuzten sich, die Popen drückten sich ihre Kappen gegen den Wind fest auf den Kopf, und die Fußgänger unterbrachen ihr tägliches Geschäft für ein kurzes Gespräch oder einen Gang ins Kaffeehaus.
    »Nein«, wiederholte er noch einmal entschlossen. Es klang endgültig. Ich musterte ihn stumm. Er war ein junger Mann von einfacher Herkunft, ebenso wie Makarow selber. Der Kabinettssekretär hatte ihn in einem Handelskontor entdeckt, weil er drei Sprachen fließend sprach und schrieb, und ihn für sich erbeten. Makarow war zwar hoch gestiegen, unterzeichnete aber noch immer persönliche Briefe mit »Euer untertänigster, unwürdigster Knecht …«, selbst wenn sie an einen ehemaligen Piroggenbäcker wie Menschikow gerichtet waren. Es schien eines, sich über seine Umstände zu erheben. Sie zu vergessen war eine andere Geschichte! Der junge Schreiber schüttelte wieder den Kopf. Ich wußte, er hatte gerade die Tochter von Peters zweitem Stallmeister geheiratet: Sie ging mit seinem Kind schwanger. Ich seufzte und griff in meinen Beutel. Alles, was ich dort noch fand, war ein Altyn . Die Münze im Wert von drei Kopeken in meiner Hand war mein letztes Geld.
    »Schreib mir den Passierschein, bitte. Und laß das Siegel des Zaren meine Sorge sein.«
    Er sah auf den Altyn, der matt auf dem dunklen Holz seines Schreibpultes schimmerte, und steckte ihn flink ein. Mit einem Seufzen steckte er die gespitzte Feder in das in das Holz eingelassene Tintenfaß. Die Tinte tropfte schwarz auf den kleinen Schwamm, und dann füllte er mit einigen zügigen Schwüngen ein Papier. Als er fertig geschrieben hatte, streckte er sich im warmen Licht und sagte zu mir: »Ich gehe nur kurz auf den Gang, um zu sehen, ob der Bote aus dem Westen schon hier ist.«
    Ehe er jedoch den Raum verließ, schob er mir ein Stück Siegelwachs und die Kerze zu. Ich arbeitete rasch: Das Wachs schmolz unter der Flamme zu einem weichen Klumpen und tropfte auf das Papier, genau dort, wo die Worte endeten. Als die Schicht dick genug war, griff ich entschlossen zu dem verbotenen Siegel und preßte es tief in das Wachs. Der Doppeladler prägte sich in die dickflüssige Masse: stolz, blutrot und drohend.
    Ich hielt den Brief zufrieden gegen das Licht, blies dagegen und streute den feinen Sand darüber, damit die Tinte schneller trocknete. Dann schlüpfte ich aus der kleinen Schreibstube noch ehe der Schreiber zurückkam. Nun hatten die Wände des Zarenpalastes ein Geheimnis mehr zu hüten.
     
    Ich verabschiedete mich nur von wenigen Freunden, ehe ich meine verbotene Reise antrat. Darja half mir, Männerkleider zu besorgen: eine warme Jacke, die mir bis zu den Knien reichte, eine Weste und ein Paar Hosen aus festem Ziegenleder. Ich weigerte mich jedoch, mir die Haare schneiden zu lassen, und

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