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Die Zarin (German Edition)

Die Zarin (German Edition)

Titel: Die Zarin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellen Alpsten
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Söldnertruppen in der Gegend gesehen worden, und so mahnte Peter Andrejewitsch Tolstoi uns zur Vorsicht. Der Wald um uns lebte und atmete. Das Knak ken der Büsche und das Rauschen des Windes in den Flügeln der Nachtvögel begleitete mich durch meine unruhigen Träume. Vom nächsten Tag an trug ich meinen Passierschein lose im Gürtel, da wir ihn einer Patrouille nach der anderen vorweisen mußten. Tolstoi zog die Augenbrauen hoch, als er das kaiserliche Siegel darauf sah. Er sagte jedoch nichts. Ich war ihm dankbar dafür.
    Ehe wir am letzten Morgen aufbrachen, wusch ich mich, so sorgsam es ging, mit etwas Schnee, der noch im Schatten der Bäume lag, und reinigte meine Zähne mit Birkenrinde und gefrorenem Gras. Dazu bürstete ich meine Haare, bis sie dicht und glänzend über meine Schulter fielen. Dann schlang ich sie in einem Knoten im Nacken zusammen. Sauberkeit beeindruckte im Feld mehr als jeder Putz.
    Peter Andrejewitsch Tolstoi fand das Lager des Zaren unweit des Ladogasees und der Schlüsselburg ohne Schwierigkeiten: Die kleinen Bauernhöfe der Umgebung waren menschenleer und geplündert. Auf den Feldern war die Winterernte grob abgelesen worden: Nur da und dort ragten noch Rüben aus dem Acker, die übersehen worden waren. Kleinere Böschungen waren grob für Feuerholz gerodet, und ganze Wälder waren für den Schiffsbau abgeholzt worden. Das Heer über den Winter beherbergen zu müssen war die furchtbarste Geißel, die dem besiegten Landstrich angetan werden konnte. Wir wurden von einer Wache angehalten und stiegen auf der ersten kleinen Anhöhe vor dem Lager ab.
    Ein leichter Regen fiel und legte sich wie ein silberner Schleier über unsere Augen. Die Ebene öffnete sich weit für uns. Der Atem unserer Pferde rasselte in der kalten Luft, und der Schaum von ihrem Maul tropfte uns auf die müden Hände. Tolstoi hatte wenig Lust gehabt, den Schweden auf Wachgang zu begegnen. Über die Monate in Moskau hatte ich vergessen, wie es aussieht, wenn Zehntausende von Menschen gemeinsam lagern. Es wimmelte nur so von Menschen und Tieren zwischen Hütten aus Holz, Zelten und einfachen Lagern von ausgebreiteten Mänteln um die Lagerfeuer. Der Abend brach an, und die Feuer loderten in die ersten Schleier der Dämmerung. Die Sonne, die über dem Ladogasee unterging, tauchte das Lager in ein glühendes Rot. In der Abendsonne dümpelte Peters Stolz, ein Teil seiner Flotte, auf den weich schwappenden Wellen des Sees. Von dort aus konnten sie in die Bucht von Finnland treiben. Die Rufe, das Lachen, das Fluchen, das Heulen und Singen lagen wie Wolken über dem Trubel.
    Peter Andrejewitsch Tolstoi schüttelte den Kopf. »Sie wird sich nie ändern.«
    »Wer? Was?« fragte ich erstaunt. Ich hatte gerade versucht, das Zelt des Zaren ausfindig zu machen, aber es gelang mir nicht. Der Zar lebte in ebenso kleinen und abgerissenen Zelten oder Hütten wie alle anderen seiner Soldaten auch.
    »Die russische Armee«, antwortete er schlicht.
    »Was meinst du damit?« fragte ich.
    »Unter Zar Alexej, Peters Vater, machten die russischen Truppen sich selber und ihren Feinden nur durch ihre schiere Größe Angst. Das war ihre einzige und beste Waffe! Erst die Niederlage bei Narwa hat Peter das Verständnis für Ordnung und Planung eingebleut – mehr aber auch nicht! Sieh’ dir diese Wilden an, Martha! Die Hälfte von ihnen hat nicht einmal eine Uniform, und wenn sie eine bekommen, so wird sie ihnen vom Sold abgezogen! Ihre Ausbildung beschränkt sich auf wenig und schlechtes Essen, harte Pritschen oder die nackte Erde, Tritte von ihren Offizieren und ein Einsatz in kürzester Zeit, ehe sie wissen, wie herum sie das Gewehr halten sollen. Kein Wunder, daß sie weglaufen wie die Hasen, sobald sie es können. Peters Soldaten fliehen zu Tausenden, weißt du das nicht?«
     
    Tatsächlich, als wir durch die lagernden Truppen ritten, fiel mir auf, daß viele von ihnen in Lumpen oder auch halbnackt waren, und das trotz der noch immer bitteren Kälte des März. Nur die beiden stolzen Regimenter, denen der Zar selber angehörte, trugen ihre vollen Uniformen: Die Preobraschenski-Garde war in das Dunkelgrün des Zaren gekleidet, die Semjonowski-Truppen in dunklem Blau. Dennoch schien es erstaunlich, mit welch einfachen Mitteln der Mut der lagernden Männer aufrechterhalten werden konnte. Eine warme Suppe mit dicken Brocken Speck und ein freches Lied über die Vorlieben des schwedischen Königs ließen an jenem Abend eine Welle der Zufriedenheit

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