Die Zarin (German Edition)
kleinen Butzenscheiben und sah hinaus. Er schien nicht gehört zu haben, daß ich den Raum betrat. Als ich leise nähertrat, sah ich zu meinem Erstaunen, daß ihm Tränen über das Gesicht liefen. Ich umarmte ihn von hinten. Zuerst schrak er zusammen, dann jedoch entspannte er sich in meinen Armen.
» Batjuschka . Du weinst. Was ist passiert?« fragte ich leise und küßte sanft seinen Hinterkopf.
Er atmete einige Male heftig, wie um seine Stimme wiederzufinden. »Sophia ist tot. Sie ist vor zwei Tagen in dem Kloster, in das ich sie verbannt habe, gestorben. Meine Schwester ist tot. Sie ist endlich, endlich gestorben«, murmelte er.
Ich erinnerte mich an das, was ich über Sophia gehört hatte – sie, die erste Frau, die je Rußland beherrscht hatte! Die eine Erziehung für sich forderte und ihre Brüder in den Schatten verdrängte!
Peter drehte sich zu mir und vergrub sein Gesicht an meinem Hals. Ich spürte, wie meine Haut von seinen Tränen naß wurde. Sein ganzer großer Körper wurde nun von einem trockenen Schluchzen geschüttelt. Ich spürte auch noch ein anderes, gefährliches Zittern durch seine Glieder gehen. War es nicht Sophia, die er im Verdacht gehabt hatte, beide Strelitzenrevolten angestachelt zu haben?
Er schleuderte seinen Kopf hin und her. Ich befürchtete einen Anfall und ließ mich mit ihm auf die Knie sinken. »Na, na … Beruhige dich, ruhig …«, murmelte ich und wiegte ihn sanft wie ein Kind hin und her. Er folgte meinen Worten nur langsam und sprach unter Tränen wie zu sich selbst: »Sophia war eine außergewöhnliche Frau. Sie soll im Kloster begraben werden«, sagte er leise. Ein Lächeln glitt über sein Gesicht. »Wenn wir einen Sarg finden, der groß genug für sie ist …« Hier mußte er anfangen zu lachen. »Du hättest sie sehen sollen, Martha! Sie war ein Ungeheuer von einem Weib, fast zweihundert Pfund schwer! Ich frage mich, wie Wassili Golizyn sie bestiegen hat! Aber sie war schlau wie der Teufel und eine echte Herrscherin! Ich habe sie in jeder Sekunde meines Lebens gefürchtet. Ehe ich sie ins Kloster schicken ließ, haben wir uns ein letztes Mal unterhalten. Sie stand aufrecht im Thronsaal des Kreml vor mir, und ich hatte auch wirklich keine Verneigung erwartet. Damals erteilte sie mir eine entscheidende Lehre. Ich fragte sie: Weshalb hast du mich nicht töten lassen, damals, im Kreml, als ich noch ein Kind war? Sie schnaubte nur verächtlich durch die Nase: ›Du verstehst nichts, dummer Junge, Peter‹, hat sie mir geantwortet. ›Du verstehst nichts. Alles, was für einen echten Herrscher zählt, ist die Beständigkeit seines Reiches. Meinst du, ich habe nicht gesehen, daß Iwan ein Schwachkopf ist? Wer außer dir hätte nach mir Rußland regieren sollen?‹ fragte sie mich spöttisch. Beständigkeit …« Seine Worte verloren sich in einem unverständlichen Schluchzen.
Peter faßte sich und wiederholte wie zu sich selber: »Ja, ein tiefes Grab im Kloster. Auf dem Stein soll kein Name stehen. All meine Angst und die Träume, die sie mir verursacht hat, sollen darin Platz finden. Ich erinnere mich an die Empfänge unter ihrer Regentschaft. Iwan neben mir lallte und sabberte nur und konnte sich kaum auf seinem Thron halten. Ich konnte in meinen schweren Kleidern kaum atmen, und Sophia bestimmte über jedes Wort, das gesprochen wurde. Ich war nur eine Puppe, nichts anderes.«
Dann drückte er mich so wild, daß das Kind in meinem Leib empört strampelte. »Ach matka , warum bin ich immer so alleine? Warum muß ich immer Zar sein? Als ich die Strelitzen vor dem Fenster ihrer Klosterzelle enthaupten oder lebendig mit den Füßen zuerst aufhängen ließ, so daß ihre Kadaver zum Himmel stanken und die Geier vier Wochen lang über dem Richtplatz krei sten, da hat Sophia mir nur zugewinkt und gelacht. Mir sind sie dagegen in den Träumen geblieben. Mir – alleine.« Er schluchzte wieder auf.
Ich küßte ihm die Tränen vom Gesicht: »Dummkopf. Du bist gar nicht alleine. Du hast doch uns. Mich – und unseren Sohn!« flüsterte ich eindringlich.
Wir standen auf dem Balkon des Kreml. Der Rote Platz lebte: Wir sahen hinunter in eine jubelnde, vor Erwartung kochende Menge, die auf ihren Zaren nach seinem Sieg bei Narwa wartete. Dicke Schneeflocken klatschten uns durch die einbrechende Dunkelheit feucht ins Gesicht. Sie blieben mir an den Wimpern und meiner Pelzmütze hängen. Ich schob die Hände tiefer in meinen Muff aus silbernem Zobel und zog den Fellkragen meines
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