Die Zarin (German Edition)
Leibern von den Bäumen, wo die Krähen ihnen die Augen auspickten und die Wölfe ihnen die Beine wegfraßen. Karls Männer erhitzten Jauche bis zum Siedepunkt und flößten das ätzende Gebräu ihren armen Opfern ein, bis sie platzten oder eben sonst kein Lebenszeichen mehr von sich gaben. Die jammervollen Briefe von August dem Starken an Peter häuften sich. Peter und seine Generäle waren ratlos: Was konnten sie tun? War der Krieg verloren? Ich hörte sie sich bis tief in die Nacht hinein beratschlagen.
Einmal, als ich zu ihm kam, liefen ihm die Tränen über das Gesicht, und er starrte auf einen Brief, der vor ihm lag.
»Was ist das?« fragte ich und nahm das von der Reise zerdrückte Papier auf. Ich wollte Briefe immer anfassen, obwohl ich sie doch nicht lesen konnte!
»Das kommt aus England, von dem Herzog von Marlborough«, antwortete er knapp.
»Und?« fragte ich weiter.
»Er hat es abgelehnt, zwischen Karl und mir zu vermitteln. Und weißt du, was ich dem Engländer dafür geboten habe? Weißt du das?« Seine Stimme klang dumpf, und seine Stirn und Augen begannen zu zucken. Ich schüttelte nur stumm den Kopf. Er sprach weiter: »Nun, die Auswahl zwischen den Titeln eines Prinzen von Kiew, Wladimir oder Sibirien. Aber, wir wollen uns ja nicht lumpen lassen, denn schließlich ist es ja ein Herzog, der den Frieden aushandeln soll!« Er hob spöttisch den Finger. »Also, legen wir noch fünfzigtausend Reichstaler für jedes Jahr seines Lebens obenauf! Und natürlich den größten Rubin, der je gefunden wurde, denn die Herzogin in England liebt alles, was so schön funkelt und Marlborough hat Schulden! Seien wir großzügig und zeichnen wir ihn noch mit dem Sankt-Andreas-Orden aus! Aber: Seine Durchlaucht lehnt ab!« Die letzten Worte schrie er vor Zorn, und er entriß mir den Brief. Er zerfetzte ihn mit vor Wut zitternden Händen in kleine Stücke. »Seine Durchlaucht lehnt ab«, wiederholte er dann ruhiger. »Natürlich, es ist ja besser, die Schweden hier beschäftigt zu sehen, als daß sie sich möglicherweise noch in den spanischen Erbfolgekrieg einmischen, nicht wahr? Denn das will zwar Frankreich, aber nicht England. Und deshalb, Martha, sehr einfach, haben Rußland und sein Zar zu bluten!«
Nach dem Frieden von Altranstädt im August 1706 zwischen Sachsen und Schweden verzichtete August von Sachsen auf jeglichen Anspruch auf den polnischen Thron. Ich verachtete ihn: Er brach nicht nur feige das Bündnis mit Rußland, sondern er händigte auch den Baron Johann von Patkul, unseren livländischen Freiheitshelden, an die Schweden aus. Diese ließen ihm die Glieder zerschlagen, ihn auf das Rad flechten und schließlich vierteilen. Die Schweden richteten sich in Sachsen ein, und das gequälte Land durfte das Heer über den Winter durchfüttern. Peter war zutiefst beunruhigt. Er ließ die Grenzen für den Fall eines Angriffs verstärken. Zum ersten Mal seit hundert Jahren wurde auch der Kreml, das Herz des Russischen Reiches, befestigt. Als Peter den Ukas unterzeichnete, murmelte er jedoch: »Zu Zunder und Asche sollte er brennen, der Teufelspalast!«
Nur einige Monate später stand Karl wirklich schon in Minsk.
Im Jahr von Jekaterinas Geburt nahm ich Wohnsitz in den Holzhäusern von Kiew. Peter bedachte auch mich in den langen Bestellisten, die er nach Ar changelsk schickte, von wo aus sie mit dem Schiff nach Westen reisten. Trotz der schwierigen Lage versuchte er alles, um mir das Leben in der jungen Stadt angenehmer zu gestalten. Makarow saß ungeduldig bei Darja und mir, während ich ihm nach Herzenslust meine und Darjas Wünsche auftrug. Makarow wiederholte, was der Zar ihm bereits aufgegeben hatte: »Ein vollständiges englisches Porzellanservice, handbemalt mit ländlichen Szenen, in Blau. Dreizehn Ballen gestreiften Taft und mehrere Ballen indischer Stoffe mit verschieden gewebten Mustern. Außerdem zwölf Fässer mit Oliven und zwei Laden Anchovis …«
Ich hob meine Hand und unterbrach ihn: »Strümpfe! Wirklich gute Strümpfe brauche ich! Das polnische Gelumpe zerreißt beim ersten Ritt! Und wenn ich mit Peter segeln gehe, dann muß ich warme Füße haben!« rief ich fröhlich.
Darja lachte und fügte der Liste dann noch einiges hinzu: ihre Paste für das Gesicht und Balsam für die Hände aus Italien, süßes Nußöl aus dem Norden Afrikas, Olivenöl für ihre persönliche Küche, in Zucker eingelegte Zitronen als Naschwerk, Ballen von Seide aus Amsterdam und Rollen von Spitze aus
Weitere Kostenlose Bücher