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Die Zarin (German Edition)

Die Zarin (German Edition)

Titel: Die Zarin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellen Alpsten
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Umhangs höher. Der Rote Platz war vorsichtshalber mit Sand und kleinen Steinen bestreut worden, damit die siegreichen Soldaten nicht auf dem Eis und Schnee ausglitten. Um die Mauer des Kreml und an den dreistöckigen Balustraden auf der anderen Seite des Platzes standen Tausende von Fackelträgern, die den Zug der Soldaten in ein goldenes Licht tauchten: Die hallenden Schritte der Regimenter wurden beinahe verschluckt vom Kanonendonner, dem Lärm des Feuerwerks und den wirbelnden Trommelschlägen. Sie hoben ihre Bajonette und schwenkten die von Kanonenfeuer zerfetzten erbeuteten schwedischen Fahnen. Die Männer marschierten voll Stolz unter hastig errichteten Triumphbögen aus Holz über den Roten Platz. Ihre Tausenden und Abertausenden von Körpern formten ein einziges Wesen, einen Wirbel aus Fleisch und Farben, der unter dem flackernden Licht der Fackeln geisterhaft zuckte. Aus ihren rauhen Kehlen drangen tausendfach die Hochrufe für ihren batjuschka Zar.
    Peter selbst war mitten unter ihnen: Er ritt auf einem starken Schimmel, dessen Sattel auf einem Leopardenfell und einer Decke aus rotem Samt lag. Der Sattel war nach deutscher Art gearbeitet: Peter konnte sich leicht darin aufrichten, um der versammelten Menge zuzuwinken. Gerade als Peter die erste Runde über den Roten Platz gedreht hatte, entschied sich unser Sohn, das Licht der Welt zu erblicken.
     
    Die erste Aufwallung des Schmerzes war eher wie ein endloses Ziehen, das sich mit jedem Mal verstärkte. Die erste Wehe schnitt mir wie ein Messer durch den Leib. Ich schrie wie ein Tier, und Karoline war bei mir. Sie preßte meine Hand und sagte nur bei jedem Schritt, den ich zwischen den Wehen wie eine Wildkatze im Zimmer auf und ab lief: »Denk daran, es wird leben! Ein starkes, gesundes Kind für dich und den Zaren!«
    Ich nickte nur mit von Schweiß überströmter Stirn und biß vor Schmerz heulend auf das Stück Sandelholz, das Darja mir zwischen die Zähne klemmte. Der Arzt Blumentrost wollte mich ins Bett zwingen, doch ich hatte in unserem Dorf oft genug gesehen, wie die Frauen die Wehen und die Geburt überstanden. Als mein Körper nur noch von einem Band aus Pein gehalten schien, zwang ich mich in die Hocke und hörte nur Darjas und Karolines Rufe: »Schieb! Preß! Du brauchst alle deine Kraft! Noch einmal! Und noch einmal! Halte durch!«
    Beide Frauen hielten mich unter den Armen gefaßt und hielten mir Riechsalz unter die Nase, wenn die Anstrengung zuviel wurde. Ich blutete Bündel an Leinen voll, und die Hebamme ließ Eimer um Eimer mit heißem Wasser in den Raum tragen. Blumentrost ließ sich nicht länger abhalten: »Nun beginnt meine Aufgabe!« befahl er. »Haltet sie fest. Fester! Unter den Armen. Es kommt.«
    Ich hörte jemanden schreien, wie in unendlicher Pein. Wer war das? Es gellte hundertfach in meinem Kopf von den Wänden wider, und der Schweiß und das Blut ließen die Luft an den Wänden stocken. Blumentrost schob seine Hände in meinen Leib und begann unbegreiflicherweise zu lachen. »Ja, gut, es kommt! Ich spüre schon den Kopf … preß, Mädchen, preß!«
    Ich schrie nur wieder und wollte nach ihm treten, so groß war mein Schmerz. Dann wurde es kurz schwarz vor meinen Augen, doch ich wollte nicht in eine Ohnmacht gleiten. Mein Kind, ich wollte mein Kind endlich hören und sehen, und wenn mir mein eigenes Leben aus dem Leib blutete!
    »Ja! Gut! Und noch einmal! Ein Junge! Ein Junge!« rief Blumentrost und hielt meinen sich windenden Sohn hoch in das späte Licht. Er drehte ihn geschickt und klapste ihm auf das mit blutigem Schleim bedeckte Hinterteil. Ich hörte seinen ersten heiseren Schrei und glitt in eine tiefe, sanfte Dunkelheit, aus der ich nie wieder erwachen wollte.
     
    Die Wöchnerinnenstube war ein Reich der Frauen, es roch nach Kampfer und Myrrhe. Das heiße Wasser für das Bad zischte, und Karoline ließ ständig frisches, gestärktes Leinen heranschaffen. Peter und ich konnten uns endlos über die kleinen, vollkommenen Finger und die rosige Haut an dem speckigen Bauch unseres Sohnes entzücken. Er lebte, stark und laut, und saugte wie ein echter kleiner Feldherr an meiner Brust! Peter ließ ihn in der Blagoweschtschenski-Kathedrale im Kreml taufen, und Makarow erhielt den Auftrag, den kleinen Peter Petrowitsch in die Jahrbücher des Moskauer Hofes einzutragen.
    Jene Neujahrszeit war eine der fröhlichsten, die ich erlebt habe: Mein Herz sang, und ich warf mich voll Lust wieder in das Leben. Peter und ich tranken und

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