Die Zarin (German Edition)
einen Aderlaß weiter geschwächt und erkannte mich nur selten. Erst nach zwei Wochen sah er mich unter flatternden Augenlidern an und flüsterte: »Vielleicht kann ich meinen Schwur nie wahr machen, Katharina.« Ich wurde ärgerlich und antwortete nur: »Und? Wen kümmert das schon! Gesund sollst du werden.«
Als er sich etwas erholt hatte, wanderte er, in seinen alten grünen Hausrock gehüllt und mit Pantoffeln aus gekochter Wolle an seinen Füßen, an meinem Arm in seinen Räumen auf und ab. Er sah oft aus dem Fenster, wo die Zwangsarbeiter geduldig wie die Ameisen an seinem Traum bauten. Der neue Winterpalast war in Planung, und selbst auf dem Krankenbett ließ er sich zwischen zwei Briefen die Grundrisse des Schlosses reichen, um noch kleine Veränderungen anzubringen. Als er wieder laufen konnte, besuchten wir die verschiedenen Baustellen und trafen die deutschen Baumeister, die italienischen Bildhauer, die französischen Maler und die holländischen Tischler, die Peter in jenem Frühjahr mit hehren Versprechungen und Säcken von Gold nach Rußland gelockt hatte. Sobald der Schnee schmelzen würde, erwarteten wir die Ankunft eines Brunnenbaumeisters. Peter wollte Wasserspiele in seinen Gärten, wie er sie in Frankreich im Schloß des Königs gesehen hatte. Der Strom der Zwangsarbeiter, die im späten März in die Stadt kamen, riß nicht ab. Sie zeichneten sich dunkel gegen die grünen Weiten ab und verloren sich dort, wo der Himmel die Erde traf. Erst aus der Nähe gewann der sich windende Troß dann menschliche Gestalt. Er wurde scharf bewacht: An jeder Raststelle versuchten Arbeiter zu fliehen. Wurden sie gefangen, so wurden ihre Anführer hingerichtet, und der Rest der Gruppe bekam die Peitsche. Manchen wurde auch die Nase abgeschnitten, und mir wurde übel vom Anblick des klaffenden, knochigen Loches in den Gesichtern.
Peter war noch immer nicht ganz gesund, als sich eine stolze Flotte aus Schiffen und Booten von der Schlüsselburg her auf Sankt Petersburg zu bewegte. Niemand sah, daß er sich unter seinem Mantel auf mich stützte. Er stand aufrecht am Kai der Newa und erwartete die Ankunft der Flotte. Der Wind blähte die Segel der Schiffe und jagte die bunten Wimpel und Fahnen vor sich her. Die Schiffe sahen aus wie stolze Vögel, die langsam und majestätisch die Fluten hinaufgetrieben kamen. Während des Anlegens verfolgte Peter jede Bewegung der Matrosen an Bord und am Kai mit den Augen. Kein Seil flog über die Wellen, kein Anker fiel in die dunklen Fluten der Newa und kein Knoten formte sich um die Schwimmer, Ankerpfosten und Ringe, ohne daß er es nicht guthieß. Die Schiffe knarrten in den Wanden, und die Matrosen schwangen sich geschickt von einem Mast zum anderen. Dann erst wurden die Stege der Schiffe gesenkt, und Peter entspannte sich. Er breitete die Arme aus und ging dem Troß der Damen entgegen, die auf den schwankenden Planken ihr Gleichgewicht suchten.
»Natalja! Willkommen in meiner Stadt!« rief er und schloß seine Schwester in die Arme. Sie erwiderte seine Umarmung herzlich, wobei sie jedoch den kleinen Schoßhund auf ihrem Arm in Sicherheit brachte. Sie zeigte mit einer weiten Bewegung auf die sie begleitenden Damen. Peter verneigte sich mit ungewohnter Höflichkeit und sagte: »Meine Schwestern! Ich sehe, daß ihr euch an das Wasser gewöhnt und keine Furcht vor den Fluten gezeigt habt! Wer mit mir und bei mir sein will, muß das Wasser lieben so wie ich!«
Die Zarewny nickten schwach. Ich unterdrückte nur mit Mühe ein Lachen: Die Großfürstinnen waren allesamt etwas grün um die Nase von der kurzen Seereise. Sie machten ihrem Bruder zum ersten Mal in Sankt Petersburg ihre Aufwartung. Viele von ihnen hatte ich noch nie gesehen. Da waren seine Halbschwestern Maria, Jekaterina, Jewdokija und Feodosia, die Töchter des Zaren Alexej aus erster Ehe, Sophias Schwestern. Mein Blick glitt neugierig über ihre verschlossenen und blassen Gesichter. Hatte Sophia auch so ausgesehen? In ihren altmodischen Kleidern, den Hauben, den Schleiern, den gerafften und gebauschten Ärmeln und den langen, schweren Sarafanen sahen sie fast wie verkleidet aus. Die Zariza Praskowja dagegen hatte ihren fetten Leib in ein europäisches Kleid schnüren lassen. Ihr gesamter Hofstaat aus Bettlern, Wahnsinnigen und Verstümmelten war mit ihr gereist. Peter seufzte leise, als er ihr nachsah.
»Praskowja hat Glück, fünf schöne und gesunde Töchter zu haben!« meinte er leise zu mir.
»Was hat das
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