Die Zarin (German Edition)
Abendtau und Blut feuchte Gras und weinte wie ein Kind. Seine Männer wagten nicht, ihn zu berühren, und starrten stumpf ins Leere. Peter sah ihn nur an und schüttelte den Kopf. »Also wirklich. Die Schweden sind weicher, als ich angenommen hatte.«
Wir ritten langsam über die Hügel von Poltawa in das Lager zurück. Hinter uns sammelten sich nach und nach die Männer, die noch auf dem Schlachtfeld gewesen waren. Wir führten den Troß der trotz allem vor Siegesstolz glühenden Soldaten und ihrer zerlumpten und humpelnden Gefangenen in die anbrechende Nacht. Als ich mich nach den Mauern von Poltawa umdrehte, sah ich wieder die Geier und Krähen am Himmel kreisen, die sich auf ihr fettes Mahl niederlassen wollten. Aus der belagerten Stadt kamen nun auch die ersten Menschen, um den Leichnamen und den zu Tode Verwundeten zu nehmen, was sie noch für sich brauchen konnten.
Ich richtete meinen Blick nach vorne.
Am selben Abend noch feierte das gesamte Lager den Sieg. Peter ließ Bier und Wodka an seine Männer ausschenken, und Felten ließ die Keller der Stadt und die Scheunen der umliegenden Dörfer plündern, um genug Ochsen, Schweine, Hühner, Salzfisch, Kohl und Mehl für das Fest zu beschaffen. Die Schweden jedoch saßen wie erstarrt in unserer tobenden Mitte. Peter warf seinen Holzlöffel mit dem Griff aus Elfenbein ebenso wie sein Messer und die Gabel aus grünem Horn beiseite. Er packte meine vor Fett triefenden Hände, hielt sie vor den Essenden hoch und befahl: »Heute abend wird nur mit den Händen gefressen, was zu fassen ist! Wenn ich einen mit seinem Messer erwische, setzt es was!« Dann küßte er mich auf den Mund und teilte mir eine saftige, vor Soße triefende Schweineschnauze zu, die Felten mit Obst gestopft hatte. Mir fiel auf, daß die Schweden weder furzten noch rülpsten, während sie aßen. Zudem griffen sie nur zögerlich mit den Händen zu und drehten sich zur Seite, um sich die Essensreste aus den Zähnen zu ziehen. Ich ließ Felten, der die Schweden haßte, an jenem Abend die Rolle des Schwedenkönigs spielen. Die Demütigung trieb ihm Tränen des Zorns in die Augen, und Peter lachte darüber so, daß er sich verschluckte und sich auf den Tisch übergab. Kaum zu Atem gekommen, hieß er uns unsere Humpen heben: »Einen Trunk auf die Gesundheit unserer schwedischen Gäste! Jene Männer, die mich gelehrt haben, wie man einen Sieg feiert!«
In den frühen Morgenstunden klammerten sich die Feiernden nur noch müde an ihre Kissen und Stühle. Aber Peter begann nun erst, die Belohnungen für die Schlacht auszuteilen: »Scheremetjew! Für dich die Güter um Kiew, auf die du schon so lange ein gieriges Auge hast! Doch, doch, nimm sie, ich kenne dich doch, alter Haudegen! Außerdem darfst du dir in unmittelbarer Nähe des Winterpalastes in Sankt Petersburg einen Palast bauen!« Scheremetjew, der seit meiner ersten Begegnung mit ihm geschrumpft zu sein schien, verneigte sich und murmelte Worte des Dankes. Menschikow wurde Marschall zweiten Ranges, Ronne dagegen konnte sich mit dem Titel eines leitenden Generals schmücken. Golowkin wurde zum Admiral ernannt, und Peter vergaß auch den treuen, schlauen und flinken Peter Schafirow nicht: »Kleiner Jude, ich mache dich hiermit zum Vizekanzler! Und jede deiner Töchter soll einen Prinzen heiraten!«
Peter Schafirow sank zu Boden und küßte die Knie seines Zaren. Ich sah, daß Menschikow ob der Auszeichnung eifersüchtig schimpfen wollte, doch ich legte ihm beruhigend eine Hand auf den Arm: »Heute abend, großer Alexander Danilowitsch, wollen wir nur feiern! Der Kuchen von Peters Gnade ist groß genug. Es gibt für alle ein Stück.«
Je mehr Menschikow bekam, um so mehr wollte er haben.
Sich selber ließ Peter auf Bitten seiner Offiziere hin zu einem Generalmajor zu Land und einem Vizeadmiral zu See ernennen. Er küßte mich und sagte: »Jetzt bist du die Gefährtin eines Generalmajors und eines Vizeadmirals. Bist du stolz auf mich?« Ich nickte und trank mit ihm zwei Humpen Branntwein auf seine Beförderung. Dann schlief ich auf den Kissen ein, und Peter mußte mich in unser Zelt getragen haben, denn dort erwachte ich am nächsten Morgen. Das Kind in meinem Leib war still. Wir mußten den Lagerplatz bereits nach zwei Tagen verlassen, denn das umliegende Land konnte unser Heer nicht mehr länger ernähren, und der Gestank von Tod und Verwesung zog vom Schlachtfeld her unerträglich in unsere Zelte.
Die Sieger von Poltawa zogen vor
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