Die Zarin (German Edition)
Amme säugte sie rund und stark, und sie weigerte sich lauthals, sich je in straffe Leinenbinden wickeln zu lassen.
Die Dinge standen gut für uns: Rußland hatte Bündnisse mit Preußen und Dänemark abgeschlossen, und auf dem polnischen Thron saß nun wieder der sächsische Kurfürst, der so stark war, daß er Hufeisen mit einer Hand verbog und silberne Teller zusammenrollte. Gleichzeitig hatte Peter den Friedensvertrag mit den Türken verlängern lassen: Graf Tolstoi war noch immer der beste Gesandte, den er sich an der Goldenen Pforte wünschen konnte. Selbst die Gerüchte, daß der verwundete Karl sich am Hof des Sultans befinden sollte, tat er als Unsinn ab.
Alexej hatte das Bild der Prinzessin Charlotte zuerst mit Kohlestiften bemalt und es dann als Zielscheibe zum Messerwerfen verwendet. Schließlich ließ er es verhängen und in die Lager des Kreml bringen, ohne daß Peter davon erfuhr. Die Verhandlungen über eine Heirat schritten nur langsam voran. Europa gab sich Rußland und Peter gegenüber mißtrauisch. Dennoch, während eines Festessens zum Namenstag des heiligen Alexander Newski in Menschikows neuem Palast in Sankt Petersburg bat mich Peter, mir die fünf Töchter seines schwachsinnigen Bruders Iwan näher anzusehen.
Menschikow hatte an nichts gespart, um seinen Palast in Sankt Petersburg einzurichten. Das Gebäude an der Strelka der Wassiljew-Insel war das prachtvollste in Sankt Petersburg. Peter störte sich nicht daran. »Nun, so kann ich dort feiern, und Menschikow bezahlt dafür!« sagte er zufrieden. Der Palast am Ufer der Newa wurde mit Seide aus Persien, Marmor aus Italien, Eben- und Zedernholz aus Libyen, Gold aus Sibirien, Lackierware und Tapeten aus China, Kacheln aus Holland, Elfenbein aus Afrika und Silber aus England ausgestattet. Menschikows Bibliothek alleine umfaßte nicht nur dreizehntausend Werke, von denen er kein einziges lesen konnte, sondern auch seine einzigartige Sammlung von Landkarten aus aller Welt. Drei Bibliothekare kümmerten sich ständig um den Zustand des Raumes und seines Bestandes, der stetig wuchs. Die Wände der Treppenaufgänge, der langen Korridore und der privaten und öffentlichen Räume waren außer mit Tapisserien und Trophäen mit Hunderten von Bildern geschmückt: Wohl ein Viertel davon waren mit Silber und Gold beschlagene Ikonen, der Großteil jedoch waren Bilder, die Menschen zeigten.
Bei einem Rundgang vor dem Festmahl durch die langen, verspiegelten Gänge sah ich einige geschmeichelte Gemälde von mir und auch zahllose andere, die Peter in jedem Alter darstellten: Er war stets als siegreicher Herrscher zu sehen.
Darja mußte weinen, als sie mir in ihrem eigenen Empfangszimmer auch eine Reihe von kleineren Gemälden zeigte: »Dies ist die Wand meiner Trauer«, klagte sie, und wir sahen in die kleinen Gesichter ihrer verstorbenen Söhne Paul Samson und Peter Lukas. Ein drittes Kinderbild zeigte das zarte rosige Gesicht von Menschikows Tochter Jekaterina, die gerade mit hohem Fieber zu Bett lag. Wir gingen weiter, und Darja trocknete im Laufen hastig ihre Tränen. Sie fürchtete, Peters Zorn zu erregen, wenn sie an einem hohen Festtag traurig aussah. Ich hatte versucht, für sie die Erlaubnis zu erwirken, dem Fest fernzubleiben, aber meine Mühe war vergebens gewesen. So zeigte sie mir eher abwesend die Bilder, die von Geschichten handelten, die sich vor Hunderten von Jahren in einem anderen Teil der Welt zugetragen haben sollten. Menschikow hatte sie in Europa kaufen lassen, und ich betrachtete lange ein Bild, auf welchem ein nacktes schönes Mädchen in einem losen Umhang auf einem Stier saß und ihn liebkoste. Das Mädchen erinnerte mich mit ihren runden Wangen und den dunklen Flechten an eine der Prinzessinnen Iwanowna, die ich mir nun bei Tisch näher ansehen sollte.
Peter und ich saßen bereits, als Menschikow mit seinem mit Diamanten beschlagenen Stab aufschlug und damit das Zeichen gab, den zweiten Gang aufzutragen. Eifrige Diener räumten die Pasteten und das aufgeschnittene Geflügel ab und machten sich daran, das Wild und die Spanferkel aufzutragen. Peter nahm einen Schluck aus seiner Adlertasse und rülpste. Sein Auge schweifte über die kleine Gruppe von Frauen, die um seine Schwägerin Praskowja saß. Sie hatte auf seinen Befehl hin alle ihre fünf Töchter mitgebracht. Es war offensichtlich, daß sich die Zarewny der Aufmerksamkeit ihres Onkels bewußt waren, denn sie hatten sich allen Putz angetan, den sie in ihren
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