Die Zarin (German Edition)
rollten. Er, der Zar, war immer und überall zu sehen. Es konnten nur meine Gebete gewesen sein, die die drei Kugeln abhielten, die für ihn bestimmt waren: Eine durchlöcherte seinen Hut. Die zweite bohrte sich tief in das große Brustkreuz aus solidem Gold, Rubinen und Smaragden, das die Mönche des Berg Athos seinem Halbbruder Fjodor anläßlich seiner Krönung zum Geschenk gemacht hatten. Die dritte Kugel steckte im Holzrahmen seines Sattels.
Die Schlacht selber kann ich nicht beschreiben: Als die ersten verwundeten Soldaten in das Lager zurückgebracht wurden, hatte ich alle Hände voll damit zu tun, Wunden zu verbinden, frisches Leinen auszuteilen, Wodka und Laudanum gegen den Schmerz und die Erinnerungen auszugeben und Tränen des Schrecks und des Entsetzens zu stillen. Erst dann kam ich dazu, mir den Brief des Zaren vorlesen zu lassen, den er mir gesandt hatte: »Katharina Alexejewna – matka ! Ich teile Dir mit, daß Gott in seiner Gnade uns den Sieg über den König der Schweden geschenkt hat. Ich wollte Dir selber schreiben, daß wir den Feind in den Staub getreten haben. Alles, was fehlt, sind Deine Küsse, die mir Glück wünschen. Komm sofort! Im Lager, 27. Juni 1709, Peter Alexejewitsch.«
Der Bote, der mir vorlas, begann bei diesen Worten mit mir zu weinen. Unsere Hände zitterten, als wir gemeinsam einen Humpen ungarischen Weins tranken, um uns zu sammeln. Erst dann flocht ich meine Haare neu und wusch mir das Blut und den Eiter von den Händen und den Schweiß vom Gesicht. Ich nahm die verdreckte Schürze ab, schlüpfte in meine Stiefel und ließ mein Pferd satteln. Meine Stute stob im späten Licht des Nachmittags über die Ebene, dem Sieger der großen Schlacht des Nordkrieges entgegen. Ich spürte in meinem Leib schon die entschiedenen Tritte unseres Sohnes.
Ich werde nie das erste Entsetzen vergessen, den der Anblick des Schlachtfeldes von Poltawa mir bereitete. Vielleicht war ich damals nach dem Sturm auf Marienburg zu jung oder zu verschreckt gewesen, um wirklich zu begreifen, was eine solche Schlacht ausrichtet! Überall auf den Höhen und den Wiesen vor Poltawa lagen die Körper verstreut, oder auch nur die verstümmelten Überreste dessen, was einmal Menschen gewesen waren. Aasgeier kreisten am Himmel und auf den Ästen der Bäume regten sich unruhig und kreischend die Krähen. Wilde Hunde zerrten Körperteile an einen sicheren Ort, um sich daran gütlich zu tun. Ich ließ meine Stute nun im Schritt gehen, denn ich hatte Angst, die noch lebenden, aber zu Tode verwundeten Soldaten auf dem Feld zu zertrampeln. Sie reckten ihre blutigen Gliedmaßen nach mir und flehten um ein Wort, um einen Schluck Wasser, um einen Arzt oder nach dem Anblick eines geliebten Wesens. Einem von ihnen gelang es, meinen Rocksaum zu ergreifen. Er lag hilflos auf dem Bauch und blutete sich das Leben aus dem Leib. »Bitte! Hohe Frau – Wasser!« flüsterte er. Ich spürte die Tränen über mein Gesicht laufen und sah ihn an. Der Anblick seiner Verwundungen war so grausam, daß mir augenblicklich übel wurde. Als ich mich würgend beherrschte und in meinen Satteltaschen nach dem Schlauch aus Ziegenhaut mit Wasser suchte, war er schon tot.
Der bittere Rauch des Schießpulvers lag träge über der windlosen Ebene und drückte die Dunstschwaden von Schweiß, Blut und dem beißenden Eiter des Wundbrandes in Luftlagen auf das Schlachtfeld. Ich schlang mir meine Haare über Mund und Nase, um nicht auch noch den einsetzenden bittersüßen Geruch des nahen Todes einatmen zu müssen. Ich hielt die Augen auf den Weg vor mir gesenkt, um nicht vor Entsetzen über das Sterben um mich herum wieder zu weinen. Peter sollte mich in diesem Augenblick seines Sieges schön, stolz und strahlend finden. Ich konnte sehen, daß die Männer, die dort mit zertrümmerten Leibern meinem Weg am nächsten lagen, vollkommen ausgemergelt waren. Fast siebentausend von Karls Männern waren an jenem Tag gefallen, und dreitausend weitere Soldaten kamen in russische Gefangenschaft. Vielleicht erwartete sie noch ein besseres Los, als jene ihrer Mitstreiter, die mit dem verwundeten, bitteren und besessenen Mann, den Gott ihnen als Herrscher gegeben hatte, weiterziehen mußten. Ich sah Peter schon von weitem nahe der Mauern von Poltawa stehen. Seine Gestalt ragte hoch auf inmitten seiner Generäle und eines Meeres von Gefangenen, die stumpf wie Tiere um ihn saßen und knieten. Die erbeuteten schwedischen Fahnen fingen den erlösenden, frischen
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