Die Zarin (German Edition)
lang und ungepudert, sein Rock war schmal geschnitten, und sein weißes, reines Hemd mit dem offenen Kragen betonte seinen starken Hals. Sein Gesicht war von frischer Farbe, und seine Zähne glänzten weiß und ebenmäßig. Er sah aus wie ein junger Gott zwischen den Männern von Sankt Petersburg, deren Haut entweder noch vom Winter fahl und grau oder vom Wodka sehr ungesund gerötet war. Ulrike starrte ihn wie gebannt an, und ich knuffte sie unsanft in die Seite. »Reiß’ dich zusammen, Ulrike«, flüsterte ich und mußte lachen. Sie zuckte zusammen. »Verzeih, Zariza. Aber nur ein so schöner Mensch kann etwas so Wunderbares wie ein Zimmer aus Bernstein schaffen …«, meinte sie träumerisch.
»Noch haben wir es nicht gesehen!« antwortete ich leichthin.
Einige Matrosen begannen nun, seine zahlreichen Kisten von Bord zu schleppen. Schlüter selber machte einige prüfende Schritte am Kai. »Gut, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben! Dies ist also das Venedig des Nordens, das Paradies des großen Zaren!« rief er dann und lachte, ehe er mir vorgestellt wurde und sich vor mir verneigte.
Lange sollte Trezzini sich keine Sorgen um seinen Mitstreiter machen müssen: Schlüter verstarb bereits nach einigen Monaten an dem Fieber, das wie die Nebel im späten Herbst aus dem Schilfland um Sankt Petersburg stieg. Dieselbe Krankheit forderte auch das Leben meiner neugeborenen Tochter Margarita. Nach nur wenigen Wochen Leben wurde ihr Name in die traurigste aller Hoflisten eingetragen: die meiner toten Kinder. Peter trauerte mit mir – aber in seinem tiefsten Inneren war er vielleicht froh, daß es nur eine Tochter mehr gewesen war, die er zu Grabe trug. Einige Wochen später umarmte er mich: »Das war noch einmal zur Übung. Jetzt ist die Zeit reif für einen gesunden, starken Sohn!«
Sein Mund lachte dabei, aber seine Augen blieben ernst.
Ein Gast, den Peter sich sehnlich in seiner Stadt wünschte, blieb ihr jedoch beharrlich fern: der Frieden. Alexander Danilowitsch Menschikow war seit zwei Jahren zwischen Sankt Petersburg und dem Norden Deutschlands unterwegs, um für Peter einen Frieden im Norden auszuhandeln. Er führte ein Heer von dreißigtausend Soldaten mit sich. Obwohl er alle deutschen Fürsten seiner Freundschaft versicherte, nahmen sie seine Anwesenheit nur unwillig zur Kenntnis. Sicher, man wollte die Schweden nach den langen Jahren ihrer Herrschaft endlich vertreiben. Menschikows Heer aber mußte ernährt werden: Was die Städte nicht freiwillig bereitstellten, nahmen sich die Männer einfach. Zudem stellte Alexander Danilowitsch hohe Geldforderungen für seine persönlichen Ausgaben: Diese waren für den Unterhalt seiner persönlichen Begleitung von fast dreihundert Mann gedacht, die ausschließlich für seine Bequemlichkeit zu sorgen hatten. Die Wunden des Krieges, der in Europa vor fast einem Jahrhundert über dreißig Jahre lang getobt hatte, waren noch lange nicht verheilt. So war selbst Peter beeindruckt, als Menschikow aus den Städten Lübeck und Hamburg, hinter deren Mauern der Schwarze Tod hauste, noch Geld preßte. Er war deshalb der letzte, der trotz aller deutschen Klagen Menschikow für sein Verhalten tadeln wollte: Schließlich ging ein Drittel dieser Geldes sofort in den Bau der neuen Flotte.
Der Frieden von Utrecht beendete im Frühjahr den spanischen Erbfolgekrieg. Menschikow jagte den General Magnus Stenbock von Friedrichstadt in Holstein bis hoch nach Jütland. Im Herbst sollte er Stettin einnehmen. Peter fühlte seinen Rücken für neue Taten gestärkt: Im Mai, nach der ottepel und unter den ersten warmen Sonnenstrahlen, zog Rußland gegen Finnland in den Krieg.
Helsinki ergab sich den sechzehntausend russischen Rekruten kampflos. Peter erreichte Åbo an der Westküste und schrieb mir im frühen September stolz: »Finnland ist bald frei von Schweden. Ich will nur mit Dir feiern, und Du fehlst mir sehr. Die Finninnen haben zwar stramme Schenkel, aber kein Feuer im Blut! Ich habe seit Tagen nicht gelacht. Bleibe Deinem starik , der Dich von Herzen liebt, treu! Komm bald wieder zu mir, Katerinuschka. Herze und küsse unsere Kleinen. Sag’ ihnen, daß sie bald einen Bruder haben sollten!«
Ulrike Villebois senkte den Brief, hielt im Vorlesen inne und sah mich mit vor stolz geröteten Wangen an. »Der Zar hat wieder gesiegt! Vielleicht ist das Ende des Krieges ja nahe?« Dann runzelte sie die Stirn und setzte besorgt hinzu: »Aber kein Wort über den Admiral
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