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Die Zarin (German Edition)

Die Zarin (German Edition)

Titel: Die Zarin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellen Alpsten
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doch ich konnte kein Mitleid für sie aufbringen. Sie biß sich auf die Knöchel ihrer zarten Finger, und ich sah aus dem Fenster in die blinde Dämmerung, die bereits über dem Wasser lag. In der lauen, hellen Sommernacht saßen Liebespaare auf den Stufen der Anlegestellen entlang des Flusses. Am Kai zeigten Männer ihren Söhnen, wie sie ihre Angel mit Schwung in die Fluten zu werfen hatten. In der hohen Böschung des Ufers konnte ich die bunt gefiederten Köpfe der Enten ausmachen.
    Die lauen Nächte der Stadt warfen das Netz ihres Zaubers aus, und ihre Einwohner zappelten darin so hilflos wie Fische.
     
    Die Kutsche hielt mit einem Ruck vor dem Winterpalast, in dem Alexej für jenes Jahr bereits seine Räume bezogen hatte. Ich selber zog noch immer die freundliche schlichte Umgebung des Sommerpalastes vor. Inmitten der Delfter Kacheln, der niedrigen Decken und des farbigen Holzes der Wände fühlte ich mich geborgen. Es war ein Haus und kein Palast. Alexej war gerade von seinem Aufenthalt in Deutschland zurückgekehrt. Ich sah Lichter und Fackeln von Fenster zu Fenster ziehen. Einige Fußmänner näherten sich der Kutsche und verbeugten sich beim Anblick des Wappens auf der Tür tief. Mein Kutscher sprang vom Bock und hielt uns den Schlag auf. Es war kein Mensch im Hof zu sehen. Ich setzte vorsichtig meinen Fuß auf das Pflaster. Von oben, aus einem der Festsäle, konnte ich Stimmen und Gesang hören. Plötzlich befiel mich ein ungutes Gefühl. Ich wandte mich an den Kutscher. »Gib mir deine Peitsche, Mann.« Er sah verwirrt aus, gehorchte mir aber ohne Widerspruch. Ich umfaßte den mit Silber gefaßten Knauf der Gerte fest. »Komm, Marie. Zeig mir den Weg«, befahl ich und faßte sie nun unter, damit wir schneller gehen konnten. Unsere Schritte hallten auf der geschwungenen Freitreppe aus grau-weißem Marmor, und unsere Gestalten spiegelten sich in den hohen, mit Gold umrahmten Spiegeln an den Seitenwänden. An den Pforten und Treppen nahmen Wachsoldaten Haltung an. Es waren kaum Höflinge zu sehen. Entweder sie waren mit Peter im Feld, oder sie nutzten die Abwesenheit des Zaren, um endlich einmal bei ihren Familien in ihren eigenen Häusern zu sein. Schließlich standen wir vor einer hohen Tür des kleinen Speisesaals aus schwarzem Marmor. Wie aus dem Nichts tauchten zwei Soldaten auf und kreuzten ihre Bajonette vor uns.
    »Hier kein Durchgang! Auf Befehl des Zarewitsch!« schnarrten sie mich an. Der eine hatte eine eitrige Geschwulst im Gesicht, und dem anderen fehlten einige Zähne. Ich legte meine Hand auf die Bajonette und drückte sie nach unten. »Wenn du morgen nicht nach Sibirien willst oder gar auf das Rad, mein Junge, dann verschwinde von hier, hast du mich verstanden?« warnte ich ihn mit leiser Stimme.
    »Die Zariza!« flüsterte Marie erklärend. Beide jungen Männer wurden blaß und murmelten verstört Ehrbezeugungen und Entschuldigungen. Als sie noch knieten und mit ihrer Stirn den Boden vor mir berührten, waren Marie und ich bereits durch die Tür in den Saal getreten.
     
    Die erste Person, die ich in dem Raum voll sich tummelnder Menschen sah, war Sophie Charlotte. Ich traute meinen Augen nicht. Die Frau des Zarewitsch von Rußland schenkte gerade dem Trunkenbold Juri Trubetzkoi seinen Humpen bis zum Rand voll. Er leckte ihr über den Hals und schlug ihr auf das magere Hinterteil. »Aua! Da stößt man sich ja die Hand an deinem knochigen Arsch! Aber dich kann man sich schon schöntrinken!« schrie er mit rauher Stimme und zwickte sie in den nackten Arm.
    Ich konnte sehen, wie sie mit den Tränen kämpfte, als sie sich von ihm freimachte und entfloh. Plötzlich hörte ich von einer anderen Ecke des Saales Gejohle und Händeklatschen.
    »Geh und hol’ die Zarewna Sophie Charlotte! Bringe sie in das Schlafgemach des Zarewitsch«, befahl ich Marie. Sie kämpfte sich durch die Menge, um die schluchzende Sophie Charlotte zu finden. Ich selber schlug den Kragen meines Umhanges hoch und ging langsam an der Wand entlang zum Mittelpunkt des Geschehens. Niemand beachtete mich: Alle waren zu betrunken und ihre Spiele zu toll. Ich schlüpfte zwischen die Männer, die am Ende des Saales dicht an dicht um einen Tisch standen und johlten:
    »Ja! Ein Hoch auf unseren Kronprinzen!«
    »Er nimmt alle Hürden wie kein anderer! Ein Reiter ohnegleichen!«
    »Gib ihr die Sporen!«
    Ich ging auf meine Zehenspitzen und konnte meinen Stiefsohn nun sehen. Seine Haare hingen lose auf seine Schultern, und sein Hemd

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