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Die Zarin (German Edition)

Die Zarin (German Edition)

Titel: Die Zarin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellen Alpsten
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lachte, bis Schafirow zu ihr trat und ihr mit der geballten Faust ins Gesicht schlug.
     
    Es war ein grauer, mit Wolken verhangener Tag im späten März, an dem Marie Hamilton auf das Schafott stieg. Sowohl die Kronprinzessin als auch ich waren wieder guter Hoffnung. Dennoch hatte Peter darauf bestanden, daß wir an der Hinrichtung der Kindsmörderin teilnahmen. Schon aus der Ferne hörten wir die johlenden Stimmen, als sie aus dem Newator der Peter-und-Pauls-Festung auf einen Schlitten geladen wurde. Am anderen Ufer des gefrorenen Flusses mußte sie dann einen Heuwagen besteigen und rollte auf ihm den Kai entlang. Marie Hamilton war auf meine Bitten hin nicht den Folterknechten überantwortet worden. Ich hatte ihr die Beleidigungen und auch den Diebstahl verziehen: Meiner Ansicht nach war sie durch die Dummheit ihres Handelns genug bestraft. Peter aber war in seinem Urteil unerbittlich gewesen. Diese Frau, so war er überzeugt, hatte mögliche Erben des Russischen Reiches leichten Herzens umgebracht. Dafür sollte sie öffentlich bezahlen.
    Der mit faulem Stroh ausgelegte Wagen kam näher. Ein leichter Nieselregen fiel, und die langhaarigen kleinen Pferde, die vor den Wagen gespannt waren, glitten mit ihren Hufen auf den glatten Steinen und dem Schneematsch aus. Die Menge, die seit dem Morgengrauen auf die Verurteilte wartete, begann zu johlen, als sie ihrer endlich ansichtig wurde, und warf faules Gemüse nach Marie. Sie duckte sich nicht, als die ersten Krautblätter sie ins Gesicht trafen. Ich konnte nicht erkennen, ob sie weinte: Dazu war ich zu weit von ihr entfernt. Als sie näher kam, sah ich jedoch, daß sie Male der Mißhandlung im Gesicht und die Spuren eines Brandeisens an der Schulter und der Brust trug. Zudem hatten grobe Hände ihr die hellbraunen Locken abgeschoren: Auf ihrem kahlen Schädel waren mehrere Schnittwunden zu erkennen.
    »Gott sei ihrer armen Seele gnädig …«, murmelte die Zariza Praskowja neben mir und schlug das Kreuz mit drei Fingern. Auch sie hatte bei Peter um Gnade für Marie Hamilton gebeten. Die Zarewna Sophie Charlotte sah nicht auf, sondern heftete den Blick auf ihre im Schoß verschränkten Finger. Ihre Augen zuckten unruhig. Alexej selber hatte seine Beine von sich gestreckt und biß krachend in einen Stockapfel. Er schmatzte beim Essen und spuckte die Kerne vor seine Füße.
    Marie wurde von dem Wagen gehoben. Die Fesseln, die um ihre Handgelenke lagen, wurden ihr gelöst. Sie stand sehr gerade und tat, als hörte sie die beleidigenden Rufe aus der Menge nicht.
    »Metze! Kindsmörderin! Hexe!« Eine Frau kämpfte sich durch die Reihen und spuckte ihr ins Gesicht. Marie entfaltete anmutig den weiten Rock des Kleides aus weißer Seide mit kleinen schwarzen Schleifen an ihren Schultern und ihrer Mitte. Der Zar selbst hatte das Kleid entworfen, das seine ehemalige Gespielin im Tode zu tragen hatte. Die Hofrobe hing schwer an ihrem schmächtigen Körper. Ihr Blick glitt über die Menge und blieb schließlich an mir haften. Ich hob meine Hand zum Gruß, und sie knickste tief vor mir.
    Mit gesenktem Haupt ging sie Schritt für Schritt zwischen den beiden Henkersknechten auf das Schafott zu. Als sie den Blick zum Richtblock hob, sah sie dort Peter hochaufgerichtet stehen.
    Sie hob vor Schreck die Hand an die Lippen und schrie leise auf. Der eine Henkersknecht lachte auf, stieß sie zwischen die zarten Schulterblätter und rief: »Das hast du nicht erwartet, was, mein Mädchen? Der Zar will selber Hand anlegen!« Die Menge johlte. Sie stolperte mehr die Stiege hinauf, als daß sie ging. Ich rutschte auf meinem mit rotem Samt beschlagenen Stuhl unruhig hin und her. Was hatte Peter vor? Zu meiner Überraschung jedoch reichte Peter ihr den Arm, und Marie faßte sich augenblicklich. Er führte sie neben den Richtblock. Seine Hand legte sich auf ihre Schulter, und er drückte sie in die Knie. Ich sah seine Lippen sich bewegen, konnte jedoch nicht verstehen, was er zu ihr sagte. Sie neigte den Kopf und beugte sich nach vorne. Ihr schlanker weißer Hals berührte das rauhe Holz des Richtblockes. Der Henker rückte seine schwarze Kapuze zurecht und trat näher. Peter wandte sich an die versammelte Menge. Seine Augen jedoch richteten sich fest auf mich.
    »Ich kann nicht das strengste aller Urteile von dem unseligen Haupt der Verurteilten abwenden! Denn das hieße, göttliches und menschliches Recht zu brechen. Marie Hamilton, nimm dein Urteil in der Hoffnung an, daß Gott wie ich deine

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