Die Zarin (German Edition)
Reue annimmt und dir verzeiht!« rief er.
Neben mir schluchzte Sophie Charlotte auf, und Alexej musterte sie kurz und voller Verachtung. Der Zarewitsch war in jenen Tagen übler Laune, denn Peter schickte ihm fast jeden Tag vorwurfsvolle Briefe in sein Haus. Die Hinrichtung der Frau, die auch ihm Lust bereitet hatte, schien ihn nicht weiter zu berühren. Ich ließ meinen Blick über die Menge seiner Begleiter schweifen und sah dort auch das dralle, gewöhnliche Mädchen mit den roten Haaren stehen. Sie machte einen tiefen Knicks, als sie sich meiner Aufmerksamkeit bewußt wurde. Ich sah nur wieder zum Schafott.
Der Henker hob dort gerade auf Peters Zeichen sein Schwert und trennte mit einem einzigen Hieb Maries Kopf von ihrem Hals. Ein Blutstrahl schoß durch die Luft, und der Kopf rollte in einen mit Stroh gefüllten Korb. Die Menge schrie auf, und einige Weiber begannen nun doch zu heulen. Der Duft nach Bratspießen stieg in meine Nase. Die Händler von Sankt Petersburg nutzten den Menschenauflauf, um gute Geschäfte zu machen. Der Zar beugte sich nieder, hob den Kopf aus dem Korb und hielt ihn vor sich in die Luft. Langsam, sehr langsam, näherte er das abgeschlagene Haupt seinen Lippen und legte einen zarten Kuß auf Marie Hamiltons toten Mund.
Sophie Charlotte würgte, und ich gab Anna Kramer, die Marie Hamilton als meine Hofdame ersetzte, ein Zeichen, die Kronprinzessin von der Empore zu begleiten. Sie faßte Sophie Charlotte unter und sprach mit ihrer weichen Stimme beruhigend auf deutsch auf sie ein. Alexej sah Anna Kramer neugierig an, und ich schlug ihm mit meinem Fächer aus Elfenbein und Seide mahnend auf den Arm.
Ich saß unweit des Zaren, als er sich während eines Festessens zum Namenstag unserer Tochter Elisabeth Petrowna in Menschikows Palast an Peter Andrejewitsch Tolstoi und den eifrigen Alexander Iwanowitsch Rumjanzew wandte: »Ihr habt mir immer den rechten Rat gegeben! Helft mir nun auch, eine Lösung für meine Sorgen zu finden …«
»Welche Frage liegt dir auf der Seele, mein Zar?« fragte Peter Andrejewitsch Tolstoi und rückte vertraulich etwas näher an seinen Herrscher heran. Ich lehnte mich in meinem Kissen zurück, wie um mir das Sitzen aufgrund meines fortgeschrittenen Zustandes zu erleichtern: Meine Niederkunft konnte nur noch einige Wochen entfernt sein, so schwer und geschwollen, wie mir die Glieder waren. Dabei lauschte ich jedoch gleichzeitig angestrengt dem Gespräch der Männer. Peter senkte seine Stimme noch weiter ab.
»Alexej«, sagte er dann nur. Sowohl Tolstoi als auch Rumjanzew schienen mit ihrer Antwort zu zögern, und mir entging nicht, daß sie sich einen verschwörerischen Blick zuwarfen.
»Ich möchte ja nicht sein wie dieser englische König, der in die Runde seiner Ritter rief: ›Kann mich denn niemand von diesem mühseligen Bischof befreien?‹ – aber …«
»Was ist denn mit dem mühseligen Bischof in England geschehen?« unterbrach Tolstoi ihn. Peter lehnte sich entspannt in seinem Stuhl zurück. »Einige der Ritter, die die Klage des Königs gehört hatten, gingen in die Kathedrale, in der er predigte, und erschlugen den Mann vor dem Altar …«
Peter Andrejewitsch Tolstoi wiegte den Kopf hin und her, aber Rumjanzew ergriff als erster das Wort. »Ich denke, es lohnt sich, die Niederkunft der Zarewna Sophie Charlotte, und natürlich auch die Ihrer Majestät, der Zariza, abzuwarten. Erst dann, mein Zar, mag eine Entscheidung wahrlich dringlich sein«, sagte er leise und mit bedachter Stimme.
»Aber ich halte diesen Nichtsnutz von einem Sohn nicht mehr aus!« schrie der Zar auf, senkte aber augenblicklich seine Stimme, als einige der zum Essen geladenen Gesandten die Köpfe hoben. Sogar Elisabeth Petrowna hielt im Spiel mit ihrem kleinen Hund inne und sah ihren Vater fragend an. Ich fächelte mir Luft zu, denn die warme Luft des frühen Herbstabends lag drückend über dem Saal in Menschikows Palast. Dabei lächelte ich den Gesandten so freundlich zu, daß sie sich gezwungen sahen, den Blick zu senken und weiterzuspeisen. Ich gab dem Mundschenk einen Wink. Er schickte augenblicklich seine beiden Gesellen mit dem Bottich Schnaps zu ihnen. Campredon, der französische Gesandte, wurde blaß. Ich wußte, daß er nichts so fürchtete wie diesen Bottich und die tiefe Schöpfkelle, die sein Glas füllte. Ich mußte ein Lächeln unter drücken, als ich die Schweißperlen auf seiner Stirn sah: Der Geselle des Mundschenks füllte seine Adlertasse bis zum
Weitere Kostenlose Bücher