Die Zarin (German Edition)
ich meine Augen zusammenkniff, um besser sehen zu können, kam eine zweite Gruppe von Gardesoldaten auf den Platz galoppiert. Selbst in der trägen Dunkelheit des Morgens konnte ich das tiefe Grün ihrer Uniformen und das Gold ihrer Schulterklappen und der Knöpfe ausmachen. Das Dröhnen der Pferdehufe fing sich an der Fassade des Palastes und hallte hundertfach in meinen Ohren wieder. Ich unterdrückte den kindischen Drang, die Fäuste auf meine Ohren zu pressen.
»Wer ist das, Alexander Danilowitsch?« flüsterte ich statt dessen ängstlich und drückte mich an ihn. Auch er war leichenblaß und sein Kiefer knirschte. »Ich kann kein Kind unter ihnen erkennen. Peter Alexejewitsch ist nicht unter ihnen«, sagte er nur.
»Muß er denn bei ihnen sein, um zum Zaren ausgerufen zu werden?« fragte ich ihn leise. Menschikow zögerte kurz mit seiner Antwort. »Nein«, gab er schließlich zu. »Viel wichtiger ist ihnen, daß sie unser habhaft werden.«
Ich legte meine Hand in seine, und er schloß seine Finger warm und beruhigend um die meinen. »Was sollen wir nur tun?« wisperte ich. »Was wird mit uns geschehen? Werden sie uns nach Sibirien senden?«
Menschikow schüttelte den Kopf. »Sibirien? Nein, dort sind wir ihnen noch viel zu frei! Das Kloster, wenn sie gnädig sind! Die Festung und der Tod, wenn nicht …«
Die Männer stiegen ab. Pferdeknechte eilten ihnen entgegen. Sie fingen die Zügel ihrer verschwitzten Tiere auf. Nun kam auch die Garde am Eingang des Palastes an. Mir schien, daß einige unter ihnen den Kopf hinauf zu den Fenstern von Peters Totenzimmer drehten.
Ein kalter Wind kam auf und erfaßte das glühendrote Tuch der Fahne mit dem Doppeladler, die auf dem Tor wehte. Noch tanzte sie ganz oben am Mast: Für alle sichtbar lebte der Zar also noch.
Der Wind spielte mit unserer Lüge und unserer Hoffnung.
Im grauen Morgendunst löste sich ein Mann von der Gruppe und gab den anderen ein herrisches Zeichen, ihm zu folgen. War das nicht der Prinz Dolgoruki? Ich schloß die Augen, und alles Blut schien aus meinem Kopf zu fließen. Gleichzeitig schlug mein eigenes Herz mir betäubend laut in den Ohren. War dies nun der Augenblick der Entscheidung? Menschikow und ich drehten uns schweigend um und ließen uns auf unseren Stühlen vor dem Kamin mit der kalten Asche der Nacht nieder.
»Es tut mir leid«, sagte ich schließlich nur.
Menschikow winkte ab. »Laß. Du hast alles getan. Nun sind wir in der Hand Gottes. Er wird für uns entscheiden. Wir können nichts mehr tun – außer beten.«
In diesem Augenblick hörten wir einen Faustschlag an der Tür. Dann noch einen und noch einen. Sie hallten in meinen Ohren wie Schüsse. Eine Stimme rief barsch: »Öffnet, im Namen des Zaren!«
Elisabeth erwachte, rieb sich die Augen und sah fragend von mir zu Menschikow. »Was ist geschehen?« fragte sie dann. »Wer ist das?«
Sie erhielt keine Antwort auf ihre Frage. Menschikow erhob sich, klopfte seinen Rock ab, rückte sein Jabot zurecht und fuhr sich über die Haare. Er grinste etwas schief und erklärte: »Ich will nicht wie der Lump aussehen, der ich bin, wenn sie mich verhaften!«
Mit langen Schritten ging er zur Tür und drehte den Schlüssel im Schloß, um sie zu öffnen.
7. Kapitel
Der letzte Brief, den ich selbst von Alexej erhielt, war in Königsberg aufgegeben worden. Peter las die Worte, mit welchen der Prinz mir ehrerbietig von seiner Reise und eben jenem Zusammentreffen mit seiner Tante Maria Alexejewna bei Karlsbad berichtete. Er drehte mit mißmutigem Gesicht den Umschlag hin und her und hielt ihn gegen das Licht. Dann schüttelte er den Kopf und sagte mit leiser Stimme: »Der Hund. Er hat mich an der Nase herumgeführt. Vor aller Augen! Wenn dieser Brief wirklich vor zwei Wochen in Königsberg abgesandt worden wäre, weißt du, wer dann schon längst hier wäre?« Seine Stimme wurde lauter und lauter. »Der Zarewitsch!« gab er sich selbst die Antwort auf seine Frage. »Jemand hat diesen Brief für ihn abgesandt. Aber wer? Und wo ist Alexej jetzt?« fragte er sich.
Ich löste seine Finger sanft von dem Papier. Er schüttelte wieder den Kopf. »Mein Sohn ist geflohen! Er macht mich zum Gespött Europas. Seht, der Zar ist so furchtbar, daß sein eigner Sohn um sein Leben fürchten muß! Daß er davonläuft wie ein Hase! Wie sie lachen werden in Paris, in London und in Madrid! Ich höre ihr Gelächter bis hierher nach Mecklenburg!« fuhr er mit bitterer Stimme fort. Ich wußte nicht,
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