Die Zarin (German Edition)
Schultern.
»Wem hätte Alexej schon trauen können, wenn nicht dir? Und welchem Beispiel hätte er folgen sollen, wenn nicht dem deinen? Du aber hast ihn doch selber in die Arme der schwachen, aber grausamen Erzieher getrieben! Die Popen waren vielleicht die einzigen, die ihm Wärme und Achtung entgegenbrachten«, forderte ich ihn heraus.
»Achtung?« Alexander Danilowitsch fauchte mich an. »Alexej konnte man nicht achten und lieben! Der Prinz war schon sehr bald ein verdorbener und dem Rausch verfallener Lüstling. Weißt du, zu wem die kleine Prinzessin aus Braunschweig floh, als Alexej sie zum ersten Mal nach Herzenslust verprügelte? Zu mir, dem bösen, alten Prinzen Menschikow.« Er lachte höhnisch auf. »Ich saß neben ihr, als mein Arzt ihr die aufgeplatzten Brauen mit Pflastern versorgte und ihre gesplitterten Rippen mit Schienen stützte. Sie konnte kaum stillsitzen, so sehr hat sie geweint! Bei Gott, es ist ein Wunder, daß ihre Kinder gesund zur Welt kamen, so oft, wie Alexej sie mit seinem Hund verwechselte und sie im Rausch trat!«
Ich hob warnend die Hand. »Das will ich nicht hören. Nicht jetzt, zumindest.«
Menschikow preßte die Lippen zusammen und senkte den Kopf wie in einer spöttischen Verneigung. »Sehr wohl, Zarin. Ich muß dir ja auch gar nichts erzählen. Du kennst ja selber die verzweifelten Briefe, die das arme Kind nach Hause schrieb. Kein Wunder, daß ihre Eltern nie darauf antworteten, nicht wahr? Sie kamen ja auch nie bei ihnen an! Dabei erwartete Sophie Charlotte den Boten aus dem Westen jeden Tag mit brennender Ungeduld. Und sie hat dir vertraut!«
Ich wandte den Kopf ab. »Das war etwas anderes. Wenn die Kronprinzessin von Rußland nach Deutschland schreibt, wie schlecht es ihr in ihrer neuen Heimat ergeht, dann wirft das ein übles Licht auf das gesamte Reich. Das konnten wir nicht geschehen lassen. Die Frau des Zarewitsch ist niemands Tochter und niemands Schwester mehr, Menschikow. Sie gehört mit Leib und Seele Rußland.«
Er nickte: »Natürlich, natürlich! Wohl gesprochen, meine Zarin.«
Er drehte sich zum Fenster, so daß ich den Ausdruck seines Gesichtes nicht erkennen konnte.
Das erste Mal sah ich Sophie Charlotte zwei Jahre nach ihrer Hochzeit mit Alexej, als sie in Sankt Petersburg ankam. Ich erinnerte mich wohl an ihren flachen blonden Scheitel, als sie vor mir in einem tiefen Knicks versank. Als sie sich erhob, musterte ich sie rasch. Sicher, sie war flach wie ein Brett, und ihr Gesicht war schwer von den Pocken gezeichnet. Aber in ihren Augen strahlte ein sanftes Licht, das sie liebenswert erscheinen ließ. Ihre Stimme war süß, als sie sagte: »Welche Freude, Euch endlich meine Aufwartung machen zu können, meine Zariza! Ich habe soviel von Eurer Güte und Gnade gehört, so daß ich hoffe, Eure ergebene und treue Freundin sein zu dürfen!«
Mir entging nicht, daß auch sie mich neugierig musterte. Die Fürsten Deutschlands zerrissen sich bereits das Maul über das Wäschemädchen an der Seite des Zaren. Ja, selbst in Paris soll Madame, die Schwägerin des großen Louis und geborene Kurfürstin von der Pfalz, die Augenbrauen gehoben haben, als sie meinen Namen hörte: »Die Zariza von Rußland? Mäusedreck, der ein Pfefferkorn sein will!« Peter selber hatte mir das erzählt, nach seiner Reise nach Paris!
Sophie Charlotte lächelte mich an, und ich sah nichts als warmes Zutrauen in ihrem Blick. So erhob ich mich von meinem goldenen Stuhl im kleinen Thronsaal und breitete meine Arme aus: »Willkommen am Hof von Rußland, Zarewna Charlotte! Möge Sankt Petersburg dein neues Heim sein, so wie es das meine geworden ist. Gott segne dich und deine Ehe.«
Die Prinzessin flüchtete sich geradezu an meine Brust und drückte sich wie ein zarter, aus dem Nest gefallener Vogel an mich. Ich schob sie sanft von mir und zeigte auf einen goldenen, mit rotem Samt überzogenen Schemel neben meinem Thron. »Bitte, setz’ dich zu mir. Und erzähl mir doch von deiner Hochzeit!«
Sie errötete und sagte: »Oh, es ist alles schon so lange her! Ich meine …, wir alle haben zutiefst bedauert, daß Ihr den Zaren damals nicht begleiten konntet!«
Ich nickte. Die einzige, die das nicht bedauert hatte, war ich selber gewesen. Die Niederlage vom Pruth lag Peter so auf der Galle, daß er Sankt Petersburg verließ, um für einige Wochen die Wasser in Karlsbad zu nehmen. Ich ließ ihn ohne Klagen ziehen, und in seinen Briefen malte er mir sein Leben dort
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