Die Zarin (German Edition)
durch ganz Europa. Na, das kann ja heiter werden. Gott sei Dank erlebe ich das nicht mehr.«
In der Kutsche schlug er mit dem Silberknauf seines Stockes gegen die Kutschenwand, um dem Kutscher das Zeichen zur Abfahrt zu geben. Auf der Fahrt durch die Stadt hinaus nach Schloß Mon Bijou versuchte ich ihn durch Scherze aufzuheitern. Er jedoch sah mich nur an, als sei er in Gedanken weit entfernt. Schließlich entkorkte er eine Flasche Rheinwein und leerte sie schweigend bis auf den letzten Tropfen.
»Ich habe, ich schwöre bei Gott, noch nie in meinem Leben etwas so Schönes gesehen! Kann ein Mensch etwas Derartiges erschaffen?«
Peters Stimme war weich vor Rührung. Er fuhr mit seinen Fingerspitzen über die golden schimmernden Wände des vollkommenen Raumes, in dem wir standen. »Wie kann man so empfindlichen und schwierigen Stein wie Bernstein in diese Form zwingen? Schlüter war schon ein Meister!« murmelte er weiter und sah sich andächtig in dem Zimmer um. Der gesamte Raum war fein und ohne erkennbaren Ansatz mit Bernstein getäfelt worden. Zwischen die Täfelung waren Bilder von unglaublicher Leichtigkeit gesetzt: Vom unsteten Schein der Kerzen wurden sie zum Leben erweckt. Der Bernstein fing jeden Lichtstrahl unserer Leuchter auf, er brach ihn in einen Fächer mit Hunderten von Spielen und ließ sie in allen satten Tönen von Gold und Honig ineinanderfließen. Auch ich trat nun näher. Meine Hand glitt vorsichtig über die glatte Fläche der Wände. Die Königin lachte stolz. »Wir hören auch nie auf zu staunen, wenn wir hier in den Raum kommen. Schlüters Bernsteinzimmer! Dafür müßte man ihn nachträglich noch in den Adelsstand erheben. Nirgends auf der Welt gibt es ein ähnliches Kunstwerk.«
»Ach, wirklich? Nirgends?« fragte Peter mit, wie mir schien, neu erwachter Neugierde. »Nirgends«, bestätigte die Königin noch einmal. »Der Raum ist mein ganzer Stolz. Wenn ich könnte, so wollte ich es in mein schönes Schloß Mon Bijou einbauen lassen! Dort habe ich alles, was mir am Herzen liegt. Deshalb habe ich es auch Euch als Lager angeboten!«
Die Suppe und das Brot waren aufgetischt worden, und wir besuchten das Schloß in Potsdam, bis der Schweinebraten heiß und fettig aus der Küche kommen sollte. Der junge Prinz Friedrich sollte uns später auf seiner Flöte vorspielen. In einem halbdunklen Raum blieben wir unvermittelt vor einer mit einem Vorhang verhängten Wand stehen. Friedrich Wilhelm lachte plötzlich auf wie ein Kind und griff Peter an der Hand. »Und hier ist mein Lieb lingsstück!« Er zog an einer Kordel neben dem Vorhang, der sich lautlos zurückzog. »Warte!« sagte er noch und gab seinem Fußmann das Zeichen, noch mehr Kerzen in dem Leuchter anzuzünden. Als es im Zimmer heller wurde, konnte ich eine mittelhohe Statue auf einem Sockel erkennen. Peter lachte hell entzückt auf und ich trat näher. Was ich sah, trieb mir die Schamesröte ins Gesicht. Die Gestalt, ein widerlich häßlicher Götze, reckte uns sein entblößtes Hinterteil entgegen. Gleichzeitig hielt er sein erregtes, riesenhaftes Geschlecht in den Händen. Um ihn wanden sich weibliche Körper. Zu meinem Erstaunen kicherte nun auch die Königin in ihren Fächer. Peter klatschte in die Hände und zog mich neben sich. »Das muß ein Fruchtbarkeitsgott sein! Küsse ihn, Katharina Alexejewna!« rief er mit heiserer Stimme.
»Was?« wisperte ich erstaunt und gefror in meiner Bewegung.
»Küsse ihn! Damit wir noch mehr Kinder bekommen! Noch mehr Söhne!« befahl er noch einmal. Die Königin lachte, als handele es sich um einen gelungenen Scherz. »Also wirklich, Zar Peter, ich weiß nicht, ob da ein Kuß auf eine heidnische Statue hilft …«, meinte sie. Nun war ihr die Lage doch peinlich. Friedrich Wilhelm sagte schnell: »Wie gesagt, mein bestes Stück! Wollen wir wieder zu Tisch gehen?« Er wollte schon wieder an der Kordel ziehen. Peter jedoch fiel ihm mit bleierner Hand in den Arm.
»Küsse ihn, Katharina«, sagte er zum dritten Mal mit ruhiger Stimme. »Oder: Kopf ab! Verstehen wir uns recht?« Er zog sich erläuternd seine flache Hand über den Hals.
Unsere Gastgeber wechselten bestürzte Blicke und murmelten beschwichtigende Worte. Ich fand in Peters Augen zu meinem Erstaunen nicht den Schalk, den ich sonst an ihm kannte. In der dunklen Starrheit seiner Iris erlangte ich nur die Gewißheit, daß er hier keinen Widerspruch duldete. So beugte ich mich nach vorne, und meine Lippen streiften den kalten Stein,
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