Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Zarin (German Edition)

Die Zarin (German Edition)

Titel: Die Zarin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellen Alpsten
Vom Netzwerk:
mehr geschwollen, denn sie hatte ihr Kind vor einigen Tagen in der Peter-und-Pauls-Festung auf die Welt gebracht. Peter hatte es augenblicklich umbringen lassen.
    Mir schien, als könnte ich durch die Scheiben der Fenster das Salz des Meeres auf meinen Lippen schmecken.
     
    Ich hörte die Schritte der Soldaten auf dem hellen Kies des Weges vor Mon Plaisir knirschen. Es war unmöglich zu sagen, wie viele Männer dort gingen. Afrosinja atmete scharf aus, schob ihre Lippen vor und stützte ihr Kinn in ihre plumpen Hände. Sie hatte Alexej seit ihrer Trennung in Bologna vor einigen Monaten nicht mehr wiedergesehen. Peter hatte den Zarewitsch nach unserer Ankunft in Sankt Petersburg in die Trubetzkoi-Bastion in der Peter-und-Pauls-Festung bringen lassen. Mir schauderte, als ich dies hörte: Ihre Zellen waren für ihre vollkommene Dunkelheit bekannt, die sich auf den Geist der Insassen legte und sie unausweichlich in die Dumpfheit der Angst und des Wahnsinns zog. Die Folterkammern hatten eine noch traurigere Berühmtheit in der Stadt erlangt: Die meisten Menschen verließen sie nur lebendig, um den Weg zum Schafott zu beschreiten.
    Es klopfte an die Tür des Arbeitszimmers. Peter erhob sich aus seinem Stuhl. Er stand nun breitbeinig in der Mitte des Raumes und hielt seine Hände hinter dem Rücken verschränkt. Afrosinja richtete sich von ihrem Schemel auf. Ich wandte meinen Kopf zur Tür. Meinen Körper jedoch ließ ich zum Fenster gedreht. Es war, als ob ich mich mit aller Macht vergewissern mußte, daß es dort draußen noch eine Welt voll grüner Frische und neuen Lebens gab. Lö ste ich mich von ihr, so konnte ich allen Halt verlieren.
    »Kommt herein mit dem Verräter!« rief Peter aus.
    Die Tür öffnete sich, und herein kamen zwei Soldaten, die sich rechts und links vom Eingang postierten. Ihnen folgten zwei bullige Knechte, die Alexej zwischen sich schleppten. Hinter ihnen konnte ich zwei weitere Soldaten entdecken. Alexej hielt den Kopf gesenkt. Er war noch weiter abgemagert und konnte sich vor Schwäche kaum auf seinen Beinen halten. Mir schien es, als hinge er geradezu in den groben Fäusten seiner Garde. Das Licht des Pavillons schien ihn zu blenden, denn er hob schwach eine Hand in Richtung seiner Augen. Peter kräuselte verächtlich die Lippen. Afrosinja traf ihre Wahl. Sie versteifte sich und musterte ihren Liebhaber mit kalten blauen Augen.
    »Ist mein Sohn so gefährlich, daß er sechs Mann Begleitung braucht? Seht ihn euch doch an, er zitterte ja schon wie Espenlaub! Geht – laßt uns allein!« befahl Peter mit lauter Stimme. Die Männer gehorchten. Alexej begann, kaum stand er so allein und hilflos im Raum, am ganzen Leib zu zittern. Er barg sein Gesicht in seinen knochigen, wächsernen Händen.
    »Das Licht. Ich ertrage das Licht nicht mehr! Vater, ich flehe Euch an …«, jammerte er. Seine Stimme klang rauh und benutzt. So, als hätte er in den letzten Tagen stumpf und sinnlos geschrien.
    »Halt den Mund!« herrschte Peter ihn an. »Ich bestimme hier, wann du zu reden hast!«
    Alexej begann leise zu weinen. Seine Schluchzer schüttelten seinen erschöpften Körper.
    »Sieh auf!« donnerte Peter nun. Alexej gehorchte wiederum. Nun erst sah er Afrosinja. Er schrie auf und wollte zu ihr stürzen, um sie zu umarmen. Peter jedoch stellte sich ihm grob in den Weg und stieß ihn zurück. Alexej stolperte und fand gerade noch Halt an dem schweren Tisch, an dem Peter sonst Karten studierte. Peter griff ihn augenblicklich am Arm: So, als hätte er Angst, der Zarewitsch könnte ihm noch durch einen dummen Unfall entkommen. Afrosinja warf den Kopf in den Nacken und sah Alexej herausfordernd an.
    Alexej entwand sich Peters stählernem Griff und stieß hervor: »Afrosinja! Geht es dir gut? Wie ist es dir ergangen? Unser Kind …«, sein Blick glitt verwundert über ihren zwar drallen, aber deutlich nicht mehr schwangeren Leib. »Was ist mit unserem Kind geschehen?«
    Sie zuckte nur die Schultern und sah auf ihre Fingernägel. Peter unterbrach die Fragen seines Sohnes. »Deine Liebesschwüre kannst du dir sparen. Afrosinja hat sich als aufrechte Untertanin des Russischen Reichs erwiesen«, knurrte er.
    »Ich verstehe nicht …«, hob Alexej dennoch an. Er sah seine Geliebte hilflos an. Ich las voll Pein das Erstaunen, das sich in seinen dunklen Augen abzeichnete. Das letzte Vertrauen darin wandelte sich zu einem letzten, grausamen Verstehen. »Nein«, wisperte er. »Nicht du, Afrosinja. Nicht du vor allen anderen

Weitere Kostenlose Bücher