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Die Zarin (German Edition)

Die Zarin (German Edition)

Titel: Die Zarin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellen Alpsten
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Streich? Handelte es sich um gewöhnliche Wachmänner? Ich setzte vorsichtig einen Fuß vor den anderen.
    In diesem Augenblick kam der kleine Trupp Soldaten auch schon um die Ecke.
    Zu meinem Erstaunen wurde die Gruppe von Antonio Devier geführt, der sich augenblicklich bei meinem Anblick verneigte. Auch die anderen Soldaten, denen die Pistolen an den Hüften hingen und deren krummen Dolche gegen das Metall ihrer Beinschienen schlug, gingen umständlich in die Knie. Erst jetzt sah ich die Frau, die sie bisher mit ihren Körpern verdeckt hatten. Die kleine, ganz in schwarz gewandete Person in ihrer Mitte blieb aufrecht stehen. Ihr Haar war unter einem dichten Schleier verborgen: Sie mußte eine Nonne sein. Das weite Gewand, das ihr bis zu den Fußspitzen fiel, schien aus rauhem Zwirn gewebt. Dennoch beeindruckte mich der edle, ebenmäßige Schnitt ihres Gesichtes. Ihre hohe Stirn war weich gerundet und ihre Augen dunkel wie Kohlestücke. Die lange, schmale Nase endete nur kurz über ihren feinen, blutleeren Lippen. Ihre Haut war so wächsern wie die eines Menschen, der lange die Sonne nicht gesehen hat.
    Mein Gott, sie sah ja aus wie Alexej! Oder – und nun begriff ich erst wirklich – Alexej sah ja genau aus wie sie! Jewdokijas Blick glitt ruhig an mir auf und ab. Sie saugte meinen Anblick geradezu in sich auf: Die grauen Perlen in meinem weichen, glänzenden Haar. Der blaue Samt meines Umhanges. Der Kragen aus silbernem Zobel und meine warm gefütterten Stiefel aus weichem, besticktem Leder. Ich schämte mich. Hier stand die Frau, die meine Kleider tragen sollte. Die Frau, die Peter seine Kinder schenken sollte. Die Frau, die ihren Sohn den Thron besteigen sehen sollte.
    Die Stille im Gang wurde zäh und drückend. Devier trat unsicher von einem Fuß auf den anderen.
    Gott hat es nicht so gewollt, schoß es mir durch den Kopf. Meine Scham verflog. Was blieb, war nur Mitleid mit ihr. Deshalb neigte ich den Kopf und sagte leise: »Sei gegrüßt und gesegnet, Schwester Helene.«
    Jewdokija rührte sich nicht. Ihr Blick jedoch glitt von mir ab und verlor sich ausdruckslos im leeren Gang. Der Irrsinn leuchtete in ihnen. In
ihrem Herzen war kein Leben, in ihrem Geist kein Feuer mehr. Die kleine Gruppe setzte sich wieder in Bewegung. Jewdokijas leise Schritte verloren sich in der muffigen Kälte des Kremls. Die Dunkelheit schluckte ihre Gestalt.
    Peter ließ Jewdokija, die Schwester Helene, erneut kahlscheren und sandte sie in ein Kloster nahe des Ladogasees. Dort teilte sie ihre Zelle mit einer stummen Zwergin. Ansonsten durfte sie niemanden sehen und auch mit niemandem reden. Briefe wurden weder in noch aus ihrer Zelle gebracht. Jewdokija war zu einem Dasein in einer stillen Welt ohne Leben verdammt. Die Strafe, die Peter sich für sie ausgedacht hatte, war die Zeit: eine endlose, leere, tropfende Zeit.
    Zumindest, so dachte ich in den seltenen Augenblicken, in welchen sie mir in den Sinn kam, hatte sie noch einmal geliebt.
     
    Über all dem Blut verging Peter die Lust am Feiern nicht.
    Trotz meines Zustandes und meiner Trauer nahm ich in jenen Tagen an einer trunkenen Synode teil, die in ihrem Ausmaß alles mir Bekannte übertraf. Der Sauf-Papst Nikita Sotow war verstorben, und an seine Stelle sollte Prinz Peter Buturlin treten. Meine Närrin, die alte Prinzessin Anastasia Golizyna, sollte seine Äbtissin werden. Peter selber hatte die Zeit gefunden, jede Einzelheit der Feier festzulegen.
    Peter Buturlin nahm auf einem Thron aus Fässern Platz. Die Mitra war ihm etwas zu groß und rutschte ihm auf die Augen. Die Runde brach in grölendes Lachen aus und warf Flaschen an die Wand neben Buturlin, wo sie klirrend zersprangen. Die Posten duckten sich, um nicht von den fliegenden Splittern geschnitten zu werden.
    Peter prostete mir mit seiner Adlertasse voll Branntwein zu. »Trink, matka , trink! Der Zarewitsch hat es gerne feucht!« sagte er und tätschelte meinen sich rundenden Leib. Ich gehorchte, und wir tranken um die Wette, bis Menschikow mit einem Schuß aus seiner Pistole das Ende des Wettbewerbs anzeigte. Wir alle begannen, nach kirchlicher Musik verworfene Lieder zu singen. Mir drehte sich alles vor Augen: Buturlin, der die Menge aus einer Schweinsblase voll mit Pfefferschnaps segnete. Die Leute, die sich um Tafeln drängten und sich das Essen in den Mund stopften: den Fisch mit Safran, das Lamm mit Knoblauch und Zwiebeln, die Eier in Kaviar, den Stör im Salzmantel, das ganze Schwein in Bierkruste und die

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