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Die Zarin (German Edition)

Die Zarin (German Edition)

Titel: Die Zarin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellen Alpsten
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Anna! Sag’ ihm, ich bin gleich bei ihm!«
    Ich hob meine Beine über den Bettrand und lief barfuß über das warme Holz des Parketts. Am Fenster angelangt sah ich nach draußen, über den Kai des Flusses hinweg. Vor den Mauern der Peter-und-Pauls-Festung konnte ich vor dem Newa-Tor einige Boote auf den grünen Wellen tanzen sehen. Die Sonne stand bereits leuchtend am Himmel. Es sollte ein schöner Junitag werden. In diesem Augenblick sah ich das eiserne Gitter am Newa-Tor sich öffnen. Ein Troß Männer kam hindurch, die sich gleichmäßig auf die Boote verteilten.
    Ich runzelte die Stirn und wandte mich an Anna, die noch immer abwartend hinter mir stand. »Sag, sollte Boris Petrowitsch nicht schon seinen Sitz im Tribunal eingenommen haben?« fragte ich sie erstaunt. Sie nickte stumm. Ich überlegte kurz. »Gib mir meinen Frisiermantel. Es eilt«, befahl ich Anna. Ich fuhr mir mit den Fingern durch meine Haare, bis sie sich einigermaßen schicklich auf meine Schultern legten.
    Boris Petrowitsch stand am Fenster meines Vorzimmers und hielt mir den Rüc ken zugewandt. Seine Schultern hingen mutlos nach unten, und sein Nacken war gebeugt. Beim Laut meiner Schritte drehte er sich um und sank augenblicklich auf die Knie. Mir schien, daß er dabei leise vor Schmerz keuchte: Scheremetjew litt unter Gicht und Wasser in seinen Gliedern. Ich streckte ihm die Hand zum Kuß hin, zog ihn jedoch gleichzeitig auf die Beine. Wie schmächtig und ausgezehrt der Mann wirkte, der mich als Sieger von Marienburg auf sein Pferd gehoben hatte! Ich konnte nicht an mich halten und schloß ihn kurz in die Arme, um ihn dreimal zum Zeichen des Friedens zu küssen. Er errötete, als ich ihn aus meinen Armen entließ, und zog sich mit gesenkten Augen den Rock zurecht.
    »Zariza, habt Dank, daß Ihr Euch zu so früher Stunde Zeit nehmt …«
    Im Kamin brannte trotz der warmen Jahreszeit ein Feuer, und Scheremetjew hielt sich nahe an den Flammen. Ihre Wärme milderte seine Beschwerden, das wußte ich. Ich ließ mich am Feuer nieder und klopfte mit der Hand auf den Sessel neben mir: »Willkommen, mein lieber Boris Petrowitsch. Ich sehe dich viel zu selten! Komm, setz’ dich zu mir, hier an den Kamin. Seltsam, ich bin immer so verfroren, selbst im Juni!«
    Er lächelte mich dankbar an. Einen Augenblick wußte keiner von uns, was wir sagen sollten. Ich ergriff das Wort als erster. »Ich fürchte fast, mein alter Freund kommt nur noch zu mir, wenn er eine große, große Bitte auf dem Herzen hat – womit kann ich dir helfen? Will dein Sohn sich einen Bart stehen lassen und Pope werden? Will deine Tochter Hosen tragen? Oder hast du deine Augen auf einen Besitz geworfen, der bereits Menschikow gehört? Dann kann ich dir leider nicht helfen!«
    Ich gab meiner Stimme dabei mit Absicht einen heiteren Tonfall.
    Meine Ahnung trog mich nicht: Scheremetjews Bitte war so groß und schwerwiegend, daß einen Augenblick nur das Ticken der Uhr den Raum erfüllte, nachdem er endlich gesprochen hatte.
    Der Fürst Scheremetjew konnte es nicht mit seinem Glauben und seiner Ehre vereinbaren, über den Zarewitsch zu Gericht zu sitzen. Lieber wollte er Hab und Gut verlieren oder mit dem Prinzen sterben. Er wartete, bis die Ungeheuerlichkeit seiner Worte in meinen Geist drang.
    »Zariza. Ihr wißt, ich habe mein Lebtag alles, aber auch alles für meinen Herrscher getan. Das wird auch weiterhin so bleiben, und wenn er mich an das Ende der Welt schickt. Bis zu meinem letzten Atemzug werde ich für Peter kämpfen, reiten, segeln, lernen …« Er lächelte kurz bei diesem letzten Wort und fuhr dann ernst fort: »… und töten.« Er holte kurz Atem und ließ sich dann unter einem leisen Stöhnen auf seine Knie vor mir nieder. »Aber ich kann nicht dabei zusehen, wie ein Vater seinen Sohn richtet. Denn das Urteil, meine Fürstin, steht für mich außer Zweifel. Ich wage dies nur dir zu sagen, außerhalb dieses Raumes kann man mir dafür sofort das Fell über die alten Ohren ziehen.«
    Ich nickte und nahm seine zitternden Hände in die meinen. »Was kann ich dabei für dich tun?«
    »Ich hab bereits um Befreiung von dem Tribunal gebeten. Peter hat meinen Boten ohne eine Antwort mit Knutenschlägen zu mir zurückgesandt. Deshalb bin ich nun zu dir gekommen.«
    Ich schwieg und überlegte. Boris Petrowitsch barg sein Gesicht in meinen Händen. »Es widerspricht jedem Gesetz, das wir kennen, dem Gottes und dem der Natur! Ein Vater, der sich am Leben seines Sohnes vergreift. Der die

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