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Die Zarin (German Edition)

Die Zarin (German Edition)

Titel: Die Zarin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellen Alpsten
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Hilfe der Kirche und der Gerichte dazu haben will! Ich kann nie in Ruhe sterben, wenn ich diese Taten bezeugen muß! Gewiß nicht, weil ich den Zarewitsch schätze! Ganz im Gegenteil, ich kenne ihn ja von klein auf. Er ist kein guter Mensch. Unter all den schlechten Menschen hier in Rußland ist er der verworfenste. Aber dennoch …«
    Ich stand auf und zog ihn auf seine schmerzenden Füße. »Ich werde dich von meinen Sänftenträgern in deinen Palast an der Moika tragen lassen, otez . Laß dies meine Sorge sein. Ich werde die rechten Worte finden, die ich für dich einlegen kann, Boris Petrowitsch.«
    Ich machte eine kleine Pause und näherte meine Lippen dann seinen alten, behaarten Ohren. Seine Haut roch nach der Bitterkeit des Alters. »Boris Petrowitsch – bist du dir sicher, daß das Urteil bereits feststeht?« flüsterte ich ganz nahe an seiner Ohrmuschel. In jenen Tagen hatte jede Wand Ohren.
    Er nickte und antwortete mir ebenso leise. »Vielleicht nicht für die Kirche oder das Tribunal. Aber im Herzen des Zaren – ja.«
     
    Als er gegangen war, trat ich wieder an das Fenster. Die Boote hatten mittlerweile von der Festung aus übergesetzt. Sie schaukelten nun vor der Admiralität auf den Wellen der Newa. Die Fuhrmänner lehnten an den Masten der Straßenlaternen, kauten Tabak und sahen den Mädchen hinterher. Kinder versammelten sich am Kai und starrten die rohen Knechte der Festung an, die noch immer in den Booten saßen und Karten spielten. Solange Männer wie Boris Petrowitsch Scheremetjew lebten, gab es noch Hoffnung für Rußland.
    Im Herzen des Zaren – ja. So hatte er gesagt.
     
    »Das Herz des Zaren aber ist in der Hand Gottes – so kann nur er die gerechte Antwort auf seine Fragen finden …«, schrieb das Kirchengericht, an das Peter sich gewandt hatte. Die Popen weigerten sich, ein klares Urteil über Alexej zu fällen. Ihren Beispielen aus dem Alten Testament, in denen ein Vater seinen irregeleiteten Sohn auf das strengste bestraft, standen jenen aus dem Neuen Testament gegenüber. In ihnen ließ ein Vater Milde walten und verzieh.
    Peter erhoffte sich so von dem weltlichen Gericht aus über hundert Würdenträgern des Reichs eine klarere Antwort. Ich selber sah den Zaren nur ein einziges Mal in jenen Tagen des Gerichts. Er kam in die Spielstube unseres Sohnes und schien überrascht, mich zu so früher Stunde dort zu treffen. Ich rutschte auf den Knien durch den Raum und schob ein kleines Holzboot über den Boden. Peter Petrowitsch hatte gerade ein anderes Boot versenkt und drückte sich voll Stolz an mich. Ich saugte seinen frischen Geruch ein: Er duftete, so schien es mir, nach der Junisonne und nach frischen Äpfeln. Es geschah so selten, daß ich ihn für mich alleine hatte. Zudem hatte mir die Reise durch Europa entscheidende Monate seiner Entwicklung gestohlen! In diesem Augenblick jedoch machte er sich von mir frei und rief: »Vater! Batjuschka !«
    In der Tür standen Peter und Alexander Menschikow. Wohin gingen sie zu so früher Stunde? Ich spürte, wie die Haut meiner Arme zu prickeln begann. Es gelang mir nicht, mich zu erheben. So neigte ich den Kopf und sagte: »Guten Morgen, mein Zar und Gemahl.« Menschikow deutete eine Verbeugung an. Peter nahm den kleinen Zarewitsch auf seinen Arm. Der blonde Knabe sah lächerlich zart in den Händen seines Vaters aus. Was, so schoß es mir durch den Kopf, wenn Peter sich eines Tages gegen ihn wendet, so wie er sich jetzt gegen Alexej wendet?
    Die Antwort, die ich mir darauf gab, machte mir soviel Angst, daß ich sie aus meinem Kopf vertrieb.
    »Ich sehe, du hast eine Seeschlacht gewonnen, mein Prinz?« lachte Peter und sah Peter Petrowitsch stolz an. Der Zarewitsch nickte mit glühenden Wangen und legte seine Hände vertrauensvoll auf die Brust seines Vaters. »Ich bin sehr stolz auf dich! Wenn all diese leidlichen Geschäfte vorbei sind, dann nehme ich dich mit nach Kronstadt. Dort kannst du dir ein Boot aussuchen.«
    Nun erhob ich mich doch und trat zu ihnen. »Wohin geht ihr so früh am Morgen?« fragte ich Peter geradeheraus. Er runzelte die Stirn. »In die Festung. Das Gericht will noch mehr Beweise, um von Alexejs Verrat überzeugt zu sein.«
    »Noch mehr Beweise?« fragte ich zögerlich nach und legte meine Hände um meinen Leib. In einigen Monden schon sollte ich niederkommen. Peter nickte mürrisch. Menschikow drehte den Kopf zu uns und lachte: »Dreißig Schläge mit der Knute lösen noch jede Zunge.« Dabei zwickte er Peter

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