Die Zarin (German Edition)
Petrowitsch in die Wange. Mir drehte sich der Magen, und ich suchte Halt an Peters Arm. Er stützte mich und strich mir über die Haare.
»Dies ist nichts, worüber eine Frau in deinem Zustand Bescheid wissen sollte«, wies er mich leise zurecht. Ich nahm seine Hand in die meine. Die Haut daran fühlte sich kalt an. Ich stand nun ganz nahe bei ihm und wollte den Augenblick seltener Vertraulichkeit nutzen.
»Mein Zar, ich flehe dich an«, flüsterte ich. »Töte ihn nicht, Peter, bitte. Beschmutze deinen Ruhm nicht mit Blut von deinem Blut. Quäle nicht das Fleisch von deinem Fleisch. Verbanne ihn! Steck ihn in die Sägemühlen, oder wirf ihn in ein Kloster. Aber laß’ seinen Tod nicht über uns kommen!« flehte ich. Peter sah mich einen Augenblick lang erstaunt an. »Ich weiß gar nicht, wovon oder von wem die Zariza spricht«, sagte er leichthin. »Menschi-
kow, ruf’ ihre damy . Der Zariza ist nicht wohl, und sie braucht Ruhe«, wies er an.
Ich sah im Hinausgehen, wie Peter unseren Sohn wieder an sich drückte und ihn zärtlich küßte. Das Herz krampfte sich mir in unbestimmter Furcht zusammen.
Nach der ersten Befragung durch den Zaren, so berichtete mir Anna Tolstoja mit tränenüberströmtem Gesicht, mußte Alexej drei Tage lang ruhen. Erst dann war er stark genug für die nächste Begegnung mit seinem Vater. Der böse Zauber der Grausamkeit hielt Peter in seinem schwarzen Netz gefangen. Der Gestank nach Schweiß, Feuer und Blut in den Folterkammern benebelte ihm das Hirn. Er legte jedes der unsinnig hervorsprudelnden Worte seines gepeinigten Sohnes für seine Sache und gegen den Zarewitsch aus. Er wollte erst innehalten, wenn es nichts mehr zu gestehen gab, wenn nichts mehr gestanden werden konnte.
Nach einigen weiteren Tagen und langen Stunden der Qual für Alexej war es endlich soweit: Der Zar hatte die hundertsiebenundzwanzig Männer vom Hochverrat des Prinzen überzeugen können. Nicht er fällte das Todesurteil, sondern das von ihm eingesetzte Gericht. Er wusch seine Hände in Unschuld. Der Prinz sollte hingerichtet werden. Fürst Alexander Danilowitsch Menschikow war der erste, der mit einem Kreuz neben seinem Namen das Urteil unterzeichnete.
Aber vielleicht gab es ja doch noch etwas zu erfahren?
Vielleicht hatte Alexej trotz aller Torturen noch nicht alles gesagt?
Vielleicht saß irgendwo in Peters riesigem Reich noch eine Gruppe von Verschwörern, die nur auf den rechten Augenblick wartete, um den Kronprinzen zu befreien?
Das Urteil wurde an einem sonnigen Morgen im Juni gefällt. Die Möwen schrien hell vor den Fenstern der Trubetzkoi-Bastion, ehe sie sich von der frischen Bö zum Meer hin tragen ließen. Am Nachmittag desselben Tages sah ich vor der Anlegestelle am Sommerpalast Peter und seine Männer in Boote steigen. Ich kniff die Augen zusammen und konnte einige bekannte Gesichter unter ihnen ausmachen: Mein kum , Fjodor Matwejewitsch Apraxin, stand am Bug des ersten Bootes. Der Minister Golowkin half gerade zwei Prinzen Dolgoruki auf die Planken, und Peter Schafirow saß bereits im Boot und sah auf das Wasser, während der Fürst Trubetzkoi auf ihn einsprach. Peter Andrejewitsch Tolstoi und Alexander Menschikow teilten sich eine Fähre mit dem Zaren, der breitbeinig sein Gleichgewicht auf dem Boot hielt. Er sah über das Wasser hin zur Festung.
Gingen sie denn noch einmal zu Alexej? Ich sah zu meinem Erstaunen die Boote von dem Ufer vor dem Sommerpalast abstoßen und tatsächlich hinüber zur Festung rudern. Peter und seine Männer verschmolzen mit der Finsternis ihrer sternförmigen Mauer.
Ich ging trotz meiner Körperfülle umständlich vor einer kleinen Ikone der Mutter Gottes auf die Knie und betete für die Seele des Zarewitsch Alexej. Dann ließ ich mir von Anna Kramer einen Trank aus Johanniskraut und Laudanum mischen, der mich in einen unruhigen Schlummer schickte. Ich träumte von meiner Niederkunft: Ich gebar dem Zaren ein Ungeheuer, das er ohne zu Zögern als sein Kind anerkannte.
Es war in der Mitte jener Nacht, als Fäuste gegen die Tür meines Schlafgemachs hämmerten. Einen Augenblick lang glaubte ich, noch berauscht zu sein. Doch da tauchte schon Anna Kramers besorgtes Gesicht zwischen meinen Bettvorhängen auf. Sie hielt ein Nachtlicht in der Hand, das geisterhafte Schatten auf ihre schmalen Züge warf. »Wer kann das sein, Herrin?« wisperte sie ängstlich. Die Fäuste schlugen wieder gegen meine Tür, und meine Furcht wich einem ungeheuren Zorn.
Hatte
Weitere Kostenlose Bücher