Die Zarin (German Edition)
schlang, daß ich fast den Halt verlor.
Ich schrie auf, und erst, als ich mein Gleichgewicht wiedergefunden hatte, erkannte ich Peter.
Seine Finger krallten sich in den klammen Stoff meines Nachtgewandes. Er hob den Kopf, und ich erschrak vor dem Ausdruck auf seinem Gesicht. Seine Augen rollten in den Höhlen, und Schaum stand ihm vor den Lippen, die blau gefärbt waren. »Katerinuschka!« stöhnte er. »Gott sei Dank bist du da! Ich habe nichts getan, nichts, hörst du? Ich weiß gar nicht, wie alles gekommen ist … Katerinuschka, hilf mir! Es ist nicht meine Schuld!« schrie er mit einem Mal, daß es an den niedrigen Wänden der Zelle widerhallte. »Hilf mir, hilf mir, hilf mir!« wiederholte er dann wie irre. Seine Stimme kippte, und er begann zu heulen wie ein Tier.
Menschikow half mir, Peter auf seine Füße zu stellen. Gemeinsam ließen wir ihn auf einen Schemel sinken. Er murmelte noch immer vor sich hin. »Nun, da du da bist, wird alles gut. Ich habe ja nichts getan. Es war ja nicht meine Schuld …«
Anna Kramer kniete sich neben den Zaren hin und nahm seine Hände in die ihren. Ich selber ging zu der Pritsche und dem Mann, der dort zu schlafen schien. Neben ihm saß ein zweiter Mann, der sein Haupt in den Händen vergraben hielt. Als ich nahe bei ihm stand, erkannte ich ihn. Es war Peter Andrejewitsch Tolstoi. Ich beugte mich über den Körper, der, wie ich nun erkannte, ohne Leben war. Es war Alexej, auch wenn ich ihn kaum in den gequälten Zügen des Gesichtes vor mir erkennen konnte. Sein Gesicht war schwarz angelaufen, und seine Augen quollen aus ihren Höhlen. Der Mund war aufgerissen, und die Zunge schwoll zwischen den Zähnen hervor. Ich schluckte kurz, um gegen meine aufsteigende Übelkeit anzukämpfen. Ich ließ meine Finger über seine Lider gleiten, doch die Augen ließen sich nicht schließen. Sie starrten mit einer schrecklichen Anklage ins Leere. Ich wollte die Decke zurückziehen, die ihm bis an das Kinn gelegt worden war. Peter Andrejewitsch Tolstoi fiel mir in den Arm. »Um der Liebe Gottes willen, tut das nicht, meine Zariza«, sagte er eindringlich. »Das ist kein Anblick für eine Frau, und schon gar nicht in Eurem Zustand!« Ich schüttelte seine Hand ab und zog die zerschlissene Decke zurück.
Der Anblick, der sich mir bot, ließ mich trotz seiner Warnung vor Entsetzen zurückweichen. Menschikow fing mich auf und hielt mir den Kopf, bis meine Übelkeit schwand. Ich drehte mich zu der Pritsche um. Man hatte dem Prinzen mit glühenden Zangen das Fleisch von den Gliedern gezogen und ihm alle Knochen gebrochen. Ihre Enden stachen durch seine Knie, seine Hüften und seine Brust. Dort, wo ihm noch Haut an seinem Körper geblieben war, klebte sie schwarz und blutig von Peitschenstriemen an seinem Fleisch. »Großer Gott, der Zarewitsch!« keuchte ich. Peter hob bei dem Klang meiner Stimme den Kopf und schrie wieder: »Ich habe nichts gemacht, Katerinuschka, glaub’ mir!« Anna Kramer umarmte ihn, und er schluchzte wie ein Kind an ihrer Brust.
Ich trat wieder zu Alexejs Körper und überwand meinen Ekel. Als ich ihn leicht an der Schulter berührte, löste sich sein Kopf vom Rumpf und fiel frei zur Seite. Ich schrie vor Entsetzen auf: Alexej war enthauptet worden!
Menschikow stand hinter mir und umgriff meine Schultern. »Der Zar«, flü sterte er eindringlich. »Der Zar war außer sich vor Zorn, als der Prinz bei der zweiten Folter heute unter seinen Händen verstarb. Daß er überhaupt so lange gelebt hat, ist bei Gott oder dem Teufel ein Wunder! Peter wurde so wütend, daß er mein Schwert genommen hat und Alexejs toten Körper enthauptet hat. Nun ist er dem Wahnsinn nahe …«
Meine Zähne schlugen aufeinander, und meine Finger wurden taub. Er hatte den toten Alexej geköpft. »Das Schlimmste ist«, fuhr Menschikow mit leise drängender Stimme fort, »daß Alexej öffentlich aufgebahrt werden muß. Sonst werden alle sofort wissen, daß der Zar Hand an seinen Sohn gelegt hat.« Er sah mich flehend an. Er selber fand anscheinend keine Antwort auf seine stumme Frage.
»Was willst du als Todesursache für den Prinzen angeben?« fragte ich ihn. Menschikow zuckte die Schultern. »Einen Schlaganfall? Seine Schwindsucht? Alle wissen, daß er bei schwacher Gesundheit war …«, sagte er mutlos. Er selber klang nicht überzeugt von seiner Idee. Wie wollten sie da Rußland und ganz Europa täuschen?
Mein Blick fiel auf Anna Kramer, und ich sagte mit bestimmtem Tonfall: »Sag dem Arzt der
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