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Die Zarin (German Edition)

Die Zarin (German Edition)

Titel: Die Zarin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellen Alpsten
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Garnison, wir brauchen ihn. Und er soll seine Medikamente und auch sein Feldbesteck mitbringen.«
    Der Mann kam nach einigen Minuten: Auch er war ohne Zweifel aus dem Bett geholt worden, denn unter seinem Mantel aus grobem Tuch sahen seine nackten Beine hervor, die in Schuhen aus Holz und Bast steckten. Er verneigte sich mit blassem Gesicht und warf unsichere Blicke auf den Leichnam auf der Pritsche. »Laß’ uns alles da, was wir benötigen, um Wunden zu nähen«, befahl ich. »Außerdem brauchen wir Alkohol, um den Körper zu waschen.«
    Er gab uns das Nötige aus seinem Beutel und stand dann mit hängenden Armen im Raum. »Du kannst gehen …«, entließ ihn Menschikow. »Vergiß, was du gesehen hast, wenn dir dein Leben lieb ist«, mahnte er noch, ehe er die Tür hinter dem Arzt verriegelte.
    Ich nahm die Flasche mit Alkohol und auch die grobe Nadel und den Faden. Als ich damit neben Anna Kramer in die Knie ging, hob sie den Kopf. Ich nahm eine ihrer Hände und sah ihr in die Augen. »Anna, ich möchte dich um etwas bitten. Es ist eine große, ungeheuerliche Bitte. Aber wir beide, der Zar und ich, werden es dir nie vergessen, wenn du sie uns erfüllst.«
    Sie nickte zögerlich. »Was ist es, Herrin?« fragte sie leise.
    Ich holte tief Atem und fuhr fort: »Ich möchte, daß du den Zarewitsch wäschst und ihm seine Knochen richtest. Ich möchte, daß du ihn wieder menschlich aussehen läßt.«
    Sie nickte. Ich aber umfaßte ihre Handgelenke und zwang sie, mir in die Augen zu sehen. »Dazu, Anna, wird man ihm auch den Kopf wieder annähen müssen.« Ich sprach den letzten Satz sehr leise aus. So, als hoffte ich, die Worte selber nicht hören zu müssen. Anna erwiderte nichts. In der Dunkelheit wußte ich den Ausdruck ihrer Augen nicht zu deuten. Ich hielt ihr nur stumm die notwendigen Geräte hin. Sie zögerte einen Augenblick, nahm dann die Flasche und das Feldbesteck entgegen und erhob sich. Ihr Nachtgewand schlug raschelnd gegen ihre Beine, als sie zu Alexejs Pritsche ging. Tolstoi stand stumm von seinem Schemel auf und überließ ihr seinen Platz. Er und Menschikow drehten den Leichnam, so daß seine Schultern auf Annas Knien ruhten. Den Kopf legten sie ihr lose in den Schoß. Alexej blickte dem armen Mädchen mit seinen toten starren Augen direkt in ihr Gesicht. Ich sah, wie Anna mit zitternden Fingern den groben Faden durch das Nadelöhr führte. Sie tat stumm den ersten Stich durch die geschwärzte Haut an Hals und Rumpf. Mit ihren Fingerspitzen verknotete sie den Stich und schnitt den Faden mit einem kleinen, scharfen Messer ab. Mit jedem Stich wurden ihre Finger ruhiger, doch große, stille Tränen flossen über ihre Wangen. Der Schein der Kerzen gab ihrem Anblick etwas Weiches und Gütiges, das die umstehenden Männer die Augen niederschlagen ließ.
     
    Der Tag färbte den von der Nacht noch weißen Himmel, als Peter und ich das Boot zurück zum Sommerpalast nahmen. Er sprach während der Überfahrt kein Wort, sondern hielt nur meine Hände so fest umklammert, daß meine Finger stumpf und blutleer wurden. Ich vernahm die dumpfe Gier, mit welcher das Wasser die Ruderschläge schluckte. Erst als wir am Steg vor dem Palast anlegten, hob er seinen Kopf, und das Morgenlicht fiel in seine rotgeäderten, erschöpften Augen.
    »Sag mir, daß ich ein Mensch bin, Katerinuschka. Sag es mir«, flüsterte er. »Sag mir, daß du bei mir bleibst.«
    Seine Worte verloren sich in dem Schwappen der Wellen gegen den Bug des Bootes, und ich sah sie mit der Newa dahintreiben, wo sie sich in der Bucht von Finnland verloren. Das blasse Licht des Morgens füllte sich mit der Kraft des Tages. Ich umarmte Peter stumm. Am Steg warteten bereits zwei Fußmänner auf uns. Ich hieß sie, den Zaren in sein Bett zu bringen, und bereitete ihm mit eigenen Händen einen schweren Schlaftrunk zu.
     
    Am darauffolgenden Abend feierte Peter den Sieg von Poltawa, der sich zum neunten Male jährte. Nie zuvor hatte ich ihn mehr lachen sehen, nie zuvor hatte er mehr getrunken, und nie zuvor hatte er so viele Menschen gezwungen, durch ihre Anwesenheit den Schlaf und seine Geister von ihm fernzuhalten. Mir war heiß unter meinen Juwelen und der pastigen Schminke, die ich auf seinen Befehl aufgelegt hatte. Peter soff so gierig wie ein Pferd an der Tränke. Ich selber schüttete jedes zweite Glas meines Tokaiers zu Boden, ohne daß er es sah. Das Fest von Poltawa ging in Peters Namenstag über, und ich durchstand lange Messen, Abendessen,

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