Die Zarin (German Edition)
Feuerwerke, Paraden und Trinkspiele in den nächsten Tagen. Den Gesandten aus allen Ländern Europas wurde verboten, Hoftrauer anzulegen. Alexej war als Hochverräter gestorben. Ich sah Campredon eifrig in sein kleines Buch schreiben.
Alexejs Leiche wurde gewaschen und gekleidet in der Dreieinigkeitskirche aufgebahrt. Um seinen Hals war ein prachtvolles persisches Tuch geschlungen, so daß niemand Anna Kramers feine Stiche sehen konnte. Das Volk zog stumpf vor Erstaunen an seinem toten Zarewitsch vorbei. Sein Körper lag auf einem Sockel unter einem Baldachin aus weißem Brokat, umgeben von einer Ehrengarde. Ihre eigentliche Aufgabe jedoch, so bin ich mir sicher, war es, zu verhindern, daß jemand dem Leichnam zu nahe kam. Der Hof war noch trunken von den Feiern der letzten Tage. Menschikow beugte sich zwischen zwei Kirchenliedern zu mir und flüsterte: »In meinem Kopf vermischen sich die Trinklieder mit den Hymnen, also halte ich lieber das Maul.«
Peter trat am Ende des Gottesdienstes zu dem Körper seines Sohnes und beugte sich über ihn. Sein Schritt war etwas unsicher, und er hielt sich am Rand von Alexejs Bahre fest, bis er sein Gleichgewicht wiederfand. Campredon, der französische Gesandte, zog die Mundwinkel nach unten. Einen Augenblick lang streiften Peters Lippen den kalten Mund des toten Zarewitsch. Als er sich aufrichtete, waren seine Wangen gerötet, und seine Augen schienen mir frisch und wach. Er blickte über die Menge hinweg, in die Zukunft.
Peter Andrejewitsch Tolstoi wurde zum Dank für seine Jagd auf Alexej zum Grafen ernannt. Er hatte damit die letzten Zweifel an seiner Treue, die seit dem Strelitzenaufstand unter der Zarewna Sophia vor vielen Jahren bestanden hatten, aus dem Weg geräumt. Alexander Iwanowitsch Rumjanzew dagegen erhielt den Rang eines Gardeoffiziers und zweitausend Leibeigene. Zudem heiratete er die Tochter des Malers Andrej Matwejew. Sie trug Peters Kind unter dem Herzen, und ihr Großvater hatte Peters Mutter Natalja Naryschkina aufgezogen. So bereicherte er seine Laufbahn noch um eine gute Heirat. Die einzige Person, der ich die Peitsche und die Folter gewünscht hätte, kam mit heiler Haut davon: Afrosinja heiratete einen Offizier des Preobraschenskoje-Regimentes und führte ein Leben in Frieden und Wohlstand. In der Hölle, so hoffte ich, sollte sie die Strafe für ihren Verrat erhalten.
Zwei Monate nach Alexejs Tod schenkte ich einer Tochter das Leben. Peter herzte sie, ohne Enttäuschung darüber zu zeigen, daß ich ihm keinen Sohn geboren hatte. »Das nächste Mal, Katerinuschka! Das nächste Mal!« sagte er leichthin und lachte entzückt, als sich die kleine Hand der Zarewna Natalja Petrowna kräftig um seinen Finger schloß. »Sie ist stark wie eine Bärin! Das hat sie von dir!« sagte er. Ich ernannte Anna Kramer zu ihrer ersten obergofdama . Als sie den Säugling Natalja Petrowna zum ersten Mal in die Arme schloß, fielen mir die eisgrauen Strähnen in Annas aschblondem Haar auf. Die Nacht von Alexejs Tod hatte ihr ihre Jugend gestohlen.
Der erste Schnee fiel spät in jenem Jahr: Ich sah die ersten weichen Flocken durch die Nacht tanzten, als wir in Menschikows Palast den Namenstag des heiligen Andreas feierten. Der Zar beging diesen Abend mit den Trägern des höchsten Ordens, den das Russische Reich zu vergeben hatte. Unsere Kutschen wählten die Brücke, die sich von der Admiralität zu der Wassiljew-Insel spannte. Dazu waren schwere Bretter an fest verankerte Boote genagelt worden: Mit ihren Rümpfen bildeten sie die Pfeiler der Brücke. Ich staunte über die rasche Entwicklung der Insel, die Peter seinem Alekascha Menschikow bei der Gründung der Stadt zum Geschenk gemacht hatte. Menschikows eigener Palast war zwar noch immer das prachtvollste Gebäude der Insel: Schon vom Ufer der Admiralität her sah man den Schein seiner goldenen Fassade schimmern. Nur reiche Leute durften auf der Insel bauen. Je mehr Leibeigene ein Edelmann hatte, um so größer durfte sein Palast auf der Wassiljew-Insel und an der Strelka sein.
Die ersten Speisen wurden gerade aufgetragen, als die Doppeltüren des vergoldeten Saales sich öffneten und ein Bote sich bei dem Offizier der Garde melden ließ. Alexander Menschikow mußte den Mann im selben Augenblick wie ich gesehen haben, denn er erhob sich, um ihm als Herr des Hauses entgegenzugehen. Peter selber begutachtete gerade entzückt die farbigen, sprechenden Vögel, die der Mohr Abraham Petrowitsch Hannibal ihm
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