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Die Zarin (German Edition)

Die Zarin (German Edition)

Titel: Die Zarin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellen Alpsten
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Verzweiflung, und meine Tränen versiegten vor Angst. Peter, so wußte ich, war auf seinem Weg von Kronstadt zurück nach Sankt Petersburg. Wenn er nur bald käme! Wenn er nur bei mir wäre!
    Es verging jedoch noch eine lange Nacht, in der sich meine Finger nicht aus ihrem Gebet lösten und in der ich an dem Bett meines Jungen wachte. Am darauffolgenden Morgen schien der Zarewitsch mich nicht mehr hören zu können. Er sah mich nur mit seinen gläsernen Augen an, und weder meine Worte noch meine Zärtlichkeiten schienen noch zu ihm vorzudringen. Blumentrost wollte ihn zur Ader lassen: Sowohl Apraxin als auch Menschikow mußten mich mit all ihrer Kraft zurückhalten, damit ich dem Arzt nicht die Haut am Körper striemig peitschte. Am Abend desselben Tages tat mein kleiner Sohn seinen letzten, gequälten Atemzug.
     
    Als ich sah, wie seine zarte Brust sich nicht mehr hob und senkte, hörte ich jemanden schreien. Es klang wie ein Tier auf dem Schlachtblock. Erst später begriff ich, daß ich dies selber gewesen war. Ich spürte nichts mehr: Weder meine eigenen Fingernägel, die mir das Gesicht zerkratzen. Noch die wahnsinnige Kraft, mit der ich mir Büschel von Haaren ausriß. Nicht das Blut, das über meine Arme lief, weil ich mit den Fäusten gegen die Wände schlug. Es war Peter, der mich mit seinem eigenen Kummer zur Besinnung brachte. Ich hatte mich weinend über den Leichnam meines Sohnes geworfen, als die Tür zu seinem Sterbezimmer aufgerissen wurde. Der Zar trug noch seine von Matsch und Pferdedung verschmierten Stiefel, und sein Gesicht war mit dem Dreck des verregneten Rittes verschmiert. »Petruschka!« schrie er und warf sich über uns beide. Seine Arme schraubten sich in dem Schmerz, der ihn durchbohrte, um uns und ließen mich unter meinen Tränen und meinem Schreien nach Luft schnappen. Ich rollte zur Seite und sah, wie Peter den kleinen Körper aus dem Bett riß und ihn schüttelte, daß die Zähne meines toten Sohnes aufeinanderschlugen.
    »Sag mir, daß du lebst, mein Engelchen! Laß’ dein Väterchen hier nicht allein! Petruschka, Zarewitsch, sag doch etwas!« Peter sah kurz und erstaunt in das blasse Gesicht des Prinzen, der seinem Befehl nicht mehr gehorchen konnte, und preßte ihn dann an sich. Der Schrei, der sich aus seiner Brust löste, ließ den Popen, der bitter und schwarz wie eine Ackerkrähe in der Ecke kauerte, sich bekreuzigen. Er wiegte seinen toten Sohn, und seine schweren Schultern schüttelten sich vor Schluchzern unter dem groben Mantel, den er trug. »Komm zurück, Petruschka, komm zurück«, hörte ich ihn weinen. Ich wischte mir das Blut und die Tränen vom Gesicht und kroch zu ihm hin.
    Sein Weinen wurde leiser, als ich so nahe bei ihm kauerte. Ich legte meine Arme um ihn und unseren Sohn, und so verharrten wir lange Zeit. Ich wagte es nicht mehr, mich zu bewegen und sog sehnsuchtsvoll den Duft ein, der noch aus dem Haar des kleinen Peter strömte. Seine weiche Haut war noch warm, und ich preßte verzweifelt seine Hand: Vielleicht wollte er ja doch den Druck erwidern.
    Es war Menschikow, der unsere Arme von unserem toten Sohn löste.
    Ich fauchte ihn an wie ein wilde Katze und schlug mit meinen Händen nach ihm. Meine Nägel bohrten sich in sein Fleisch, und ich biß ihn, wo ich nur konnte. Er blutete, aber er setzte sich nicht zur Wehr. Es war Peter, der mich zwang aufzustehen und der mich in meine Räume bringen ließ.
     
    Alexander Danilowitsch Menschikow und Fjodor Matwejew Apraxin mußten sich alleine um das Begräbnis des Zarewitsch kümmern. Peter, so hörte ich nur durch die Schleier meines vor Kummer betäubten Geistes, schloß sich auf Tage in sein Zimmer ein und verweigerte jede Nahrung. Was er jedoch annahm, waren die Flaschen mit Branntwein und Wodka, die ihm Pawel Jaguschinski auf sein Verlangen hin vor die Tür stellte. Ich selber verbrachte die nächsten Tage und Wochen in einem dunklen Zimmer. Die Sorgenvögel ni steten sich mit ihren scharfen Krallen in jeden Winkel meiner Seele ein. Ihre Jungen schlüpften aus den faulen Schalen ihrer Eier und hatten statt Federn kalte Stacheln an den Flügeln. Mehr als einmal überlegte ich, wie ich mir das Leben nehmen konnte. Gott hatte mir so viele Kinder genommen, weshalb konnte er mir nicht dieses eine lassen? Nur meinen Sohn, an dessen Leben für unzählige Menschen so Unermeßliches hing. Mit ihm war auch meine Sicherheit gestorben. Alles war so wie früher, nur sehr viel schlimmer: Ich war alt.
     
    Es war erst

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