Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Zarin (German Edition)

Die Zarin (German Edition)

Titel: Die Zarin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellen Alpsten
Vom Netzwerk:
einige Wochen später, als ich eines Mittags aus meinem Studierzimmer ein Geräusch hörte. Ich erhob mich und ging barfuß und noch im Nachtgewand in den Nebenraum. Die Fenster darin waren seit Wochen nicht geöffnet worden, und die Luft war heiß und stickig, so daß mir das Atmen schwerfiel. Zu meiner Überraschung sah ich Peter am Fenster stehen. Ich sagte leise: »Mein Zar?« Er drehte sich um, und ich erschrak bei seinem Anblick. Sein Gesicht war geschwollen und seine Augen blutunterlaufen. Die Pupillen darin waren klein wie Nadelköpfe: Er mußte berauscht sein. Er lachte bitter auf.
    »Keine Angst, Katerinuschka. Du siehst auch nicht viel besser aus. Wir sind beide häßlich wie die Nacht. Komm her.« Er wandte den Kopf wieder ab.
    Ich wußte, daß er Recht hatte. Meine Sorgenvögel ließen sich nur mit dem Genuß von Wodka verjagen. Ich mußte viel, ja, sehr viel trinken, bis sie sich bitter krächzend in ihre Nester zurückzogen. Peter sah mit scheinbar gleichmütiger Miene wieder zum Fenster hinaus. Ich trat neben ihn. Dort, zwischen den Rosenbüschen, spielte Peter Alexejewitsch mit seiner älteren Schwester Natalja Alexejewna. Er hatte geschickt um zwei der Statuen ein Seil gespannt, über das sie nun beide wie kleine Pferde sprangen. Ich konnte nicht umhin, zu bemerken, wie kräftig beide Kinder aussahen. Sie lachten, und ihre Wangen waren von der frischen Luft gerötet. Peter mußte denselben Gedanken gehabt haben: Unseren Sohn fraßen derweil die Maden.
    »Weshalb ist er so stark, der Sohn meines Sohnes?« hörte ich ihn murmeln. Ich erschrak fast, ihn von Alexej sprechen zu hören. Seit seinem Tod hatte niemand mehr seinen Namen ausgesprochen. »Und seine Schwester, sieh sie dir an! Sie ist sogar recht hübsch, die Tochter der deutschen Bohnenstange. Ihre Haare glänzen, und sie ist wohlgestaltet«, sagte er bitter.
    Ich trat näher zu ihm und legte meinen Arm um ihn. Er versteifte sich, und ich roch seinen bitteren Schweiß. Er mußte seit Tagen nicht im Badehaus gewesen sein.
    »Hasse sie nicht, nur weil sie seine Kinder sind«, sagte ich leise und lehnte meinen Kopf an seine Schulter. »Du solltest alles tun, um sie zu guten Kindern deines Hauses zu erziehen. Sie können doch nichts für ihren Vater.«
    In die Stille unseres Herzschlages drang das Geschrei der beiden Kinder. Peter schüttelte langsam den Kopf. »Er wird nicht den Titel des Zarewitsch erhalten. Und was seine Erziehung angeht, so langt es, wenn er lesen und schreiben lernt. Mehr muß nicht sein. Er wird nie herrschen«, entschied er. Seine Stimme klang nach Asche, als er sprach. Er wandte sich zum Gehen. In der Tür blieb er noch einmal stehen. »Gott hat mich zu sehr gestraft, als daß ich noch einen Handel mit ihm eingehen wollte«, sagte er zur Erklärung. Er strich sich das wirre Haar aus dem Gesicht. »Ich werde nach Peterhof reiten. Du findest mich dort, falls du mich suchst.«
    Die Trauer in seiner Stimme blieb noch lange, nachdem er gegangen war, in meinem Herzen zurück.
    Ich zog die Vorhänge vor das Fenster, um das helle Licht des Frühlings aus dem Zimmer zu zwingen. Der Stoff konnte jedoch das Lachen der beiden Kinder im Garten nicht ersticken. Ich löste mir mehrere Löffel Laudanum in Wein auf und ging wieder zu Bett. In jedem meiner drückenden Träume klang das Kreischen der Sorgenvögel wie Kinderlachen.
     
    Peter verschwieg den Tod unseres Sohnes in den wöchentlichen Briefen nach Europa. Die Nachricht verbreitete sich dennoch in Windeseile. Natürlich wußte er und wußte ich und wußten alle, was man dort sagte: Auge um Auge, Zahn um Zahn, Sohn um Sohn. Auch in Rußland betrachtete man insgeheim den Tod des kleinen Peter als die Strafe für Alexejs Tod. Niemand wagte wohl, dies öffentlich auszusprechen: Ein Mönch aber wurde doch dabei gehört, daß er die verbotenen Worte über seine Lippen brachte. Er gehörte zu den Besitzungen von Alexander Danilowitsch: Menschikow ließ den Gottesmann auf dem Klosterhof in einem großen Kessel zu Tode schmauchen. Die grausame Strafe tat der Wahrheit in ihrer ganzen Bitterkeit keinen Abbruch: Nach so vielen Jahren hatte der Zar aller Russen keinen Thronfolger.
     
    In den Monaten nach dem Tod des Zarewitsch stürzte sich Peter in eine neue Geschäftigkeit, die mich die stumpfe Leere, die um mich und in mir herrschte, noch mehr fühlen ließ. Er gründete neue Schulen, überprüfte selbst die Güte des Druckes in militärischen Schriften, weihte neue Schiffswerften ein,

Weitere Kostenlose Bücher