Die Zarin (German Edition)
ließ Tausende von Kadetten ausheben, legte neue Gesetze zum Verkauf von Seelen fest, schloß die Einteilung von Rußland in fünfzig neue Provinzen ab und setzte ein Tribunal ein, das ein neues Gesetzeswerk für das Reich, das er geschaffen hatte, schaffen sollte. Dazu ließ er sein Volk in zweiundzwanzig neue Stände einteilen. Er floh die Grenzen seiner Stadt, Sankt Petersburg, und ritt selbst in seinem Land auf und ab. Ich wußte wohl, daß er es nicht ertrug, allein zu schlafen in jenen Nächten. Wer wärmte dann seinen Körper, wenn schon nicht sein Herz? Wer empfing seinen Samen? Ich hatte Angst.
Im Herbst scheiterte der Friedens-Kongreß von Åland zum zweiten Mal. Als Grund dafür gaben Pawel Jaguschinski, James Bruce und Ostermann die schwierige Natur der schwedischen Königin Ulrica Eleonora an. »Sie will keinen Frieden! Sie ist schlimmer, als ihr Bruder es war, die Hexe! Starrsinnig wie ein Bauernmädchen!« schimpfte Jaguschinski bei einem Abendessen in kleiner Runde nach ihrer Rückkehr. »Eine Frau auf dem Thron, was für eine Idee! Sie sollte ihren Mann krönen lassen …!«
Ich schlug ihm mit meinem Fächer auf den Arm und sagte scherzhaft: »Ich sehe nicht, weshalb eine Frau unbedingt schlechter herrschen sollte als ein Mann.«
Er lachte und schüttelte den Kopf. »Weiber, mit Verlaub, meine Zariza, Weiber können ihren Verstand nicht zusammenhalten. Ihre Gedanken sind immer überall zugleich. Hundert Dinge müssen gleichzeitig erledigt werden. Wie Hühner, die nicht wissen, welches Korn sie zuerst picken sollen, und die überall hinspringen.«
Peter musterte mich über seinen Löffel mit Lammeintopf spöttisch und schob sich das Essen in den Mund. Er schmatzte einige Male vor Wohlbehagen und füllte sich den Humpen voll Bier. Dann sagte er: »Was meinst du dazu, Ostermann?«
Der fiel ein: »Genau – bei allem Respekt, meine Fürstin: Frauen können nicht Wichtiges von Unwichtigem unterscheiden! Als Mann kann man sich auf nur eine Sache konzentrieren. Deshalb ist der Zar ein Zar.«
Ich wollte es auf einen Streit nicht ankommen lassen, doch ich sah, daß sie alle in diesem Augenblick dasselbe dachten. Der Zar ist wohl ein Zar. Aber er hat drei gesunde Töchter und keinen Sohn.
Aus Mecklenburg erreichten uns nun flehende Briefe der Herzogin Jekaterina Iwanowna: Die russischen Truppen zogen sich aus dem kleinen Land zurück, und die britischen Soldaten marschierten ein. Einige Monate danach mußte die junge Herzogin mit ihrer kleinen Tochter Anna Leopoldowna zu uns fliehen. Sie nistete sich im Haus ihrer Mutter, der Zariza Praskowja, ein und war es zufrieden. »Karl Leopold hatte so klamme Hände, ekelhaft!« hörte ich sie zu ihrer Schwester Anna, der verwitweten Herzogin von Kurland, sagen. Ihre Tochter Anna Leopoldowna war rund und gesund, und ich ließ sie gemeinsam mit meiner Tochter Natalja Petrowna aufziehen.
Im Mai des folgenden Jahres wurde Ulrica Eleonoras Ehemann Frederik zum König von Schweden gekrönt. England zog sich vom Baltischen Meer zurück. Einige schwedische Städte gingen noch in Flammen auf, ehe in Nystad in Finnland erneute Verhandlungen um den lang ersehnten Frieden begannen.
Es gab keinen Zweifel: Meine Blutung war bereits zum dritten Mal ausgeblieben. Sollten die hastigen Umarmungen, zu denen Peter gerade noch Zeit fand, mir noch einmal zu gesegneten Umständen verholfen haben? Ich lag in meinem Bett und streckte mich genüßlich. Manchmal, so schien es mir, genügte es, daß Peter mich nur ansah, und schon trug ich wieder ein Kind unter dem Herzen. Ich rechnete aus Neugierde nach – es könnte im Herbst auf die Welt kommen! Das mußte ich gleich Peter berichten! Ich griff zu der kleinen Glocke, die neben meinem Bett stand und läutete heftig. Die Tür öffnete sich, und Ulrike Villebois kam mit roten Wangen und glänzenden Augen herein.
Ich schwang die Beine über den Bettrand und sagte: »Ulrike, du wirst faul. Wenn das deine Mutter selig in Marienburg sähe, dann ließe sie dich den Ofen ausfegen!« Ulrike lachte und knickste. Dabei verbarg sie etwas in ihren Rockfalten. »Was hast du da?« fragte ich neugierig.
Sie schien zu erröten. »Oh, nichts, Zariza. Nur ein kleines Buch.«
Ich lachte und streckte die Hand danach aus. »So rot, wie du wirst, kann es so harmlos nicht sein. Gib es mir!« Sie lachte ebenfalls und reichte mir das in dunkle Seide eingeschlagene Buch: »Man muß dazu nicht lesen können. Es sind jede Menge bunte Bilder darin!«
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