Die Zarin (German Edition)
sich noch vor unterdrückter Aufregung.
»Weshalb weinst du, Mädchen, wenn der größte Feind deiner Heimat stirbt?« fuhr Peter sie an. Ich konnte nicht sagen, ob er ihre außergewöhnliche Schönheit bemerkt hatte. In Zeiten des Zorns verschloß er sich vor der Welt. Das Mädchen antwortete ihm mit einer erstaunlich ruhigen und tiefen Stimme: »Ich betrauere nicht den Tod unseres Feindes. Ganz im Gegenteil.«
»Was bereitet dir dann Kummer?« donnerte Peter und trat sehr nahe an ihren Tisch. Sie erhob sich zu meinem Erstaunen und legte ihre weißen Hände flach auf den Tisch. »Ich weine, Eure Majestät, weil der Frieden nun weiter von uns entfernt ist als je zuvor. Auf Karls Tod können nur Wirren und Verzögerung folgen.«
Peter sah sie einen Augenblick lang schweigend an. Sein Gesicht war wieder ruhig. Zu meiner Überraschung jedoch füllten sich nun auch seine Augen mit Tränen. »Wie heißt du?« fragte er die junge Frau, die ihm ruhig dabei zusah, wie der Kummer ihn überkam. »Ich bin Maria Kantemir, Prinzessin von Moldawien«, sagte sie mit ihrer wohltönenden Stimme.
Peter ergriff ihre zarte Hand und küßte weich ihre Handfläche. »Prinzessin, du bist eine Frau von seltener Art, denn ich weiß nicht, ob deine Schönheit deine Klugheit übertrifft – oder andersherum.«
Sie schlug die Augen nieder, und ihre langen, schwarzen Wimpern warfen Schatten auf ihre Wangen. Ein feines Lächeln umspielte ihren vollen Mund. Peter ließ ihre Hand nicht los, als er weitersprach: »Trinken wir auf die Weisheit der Prinzessin von Moldawien. Und weinen wir über den verlorenen Frieden!« befahl er.
Alle hoben ihre Tassen und machten gehorsam schluchzende Laute. Über den Rand meines Glases hinweg musterte ich Prinzessin Maria Kantemir. Ich hatte sie das erste Mal gesehen, als wir uns vor vielen Jahren zum Feldzug an den Pruth sammelten. Damals war sie ein erstaunlich hübsches Kind gewesen. Versprechen dieser Art jedoch verloren sich leicht durch Krankheit oder einen frühen Tod. Heute abend jedoch sah ich eine junge Frau, die so schön war, daß die Federn der bunten Vögel ihre Farbe verloren. Ihre Hand blieb ruhig, als sie ihr Glas zum Mund führte. Spielte da ein Lächeln um ihre Mundwinkel, oder hielt mich das unstete Licht der Kerzen zum Narren?
Die bunten Vögel krächzten, und in meinen Ohren steigerte sich ihr dummes Geplapper zu einem Sturm. Sein Tosen schluckte die heitere Musik und die frohen Worte der Runde und riß meine Gedanken mit sich fort. Ich sah den roten Wein durch Maria Kantemirs Kehle rinnen. Im warmen Licht schimmerte ihre Haut wie der Honig wilder Bienen. Als sie Peter lächelnd ein weiteres Mal zutrank, ließ der Glanz der Kerzen in den verspiegelten Wänden sie wie eine Statue aus purem Gold erscheinen. »Gott schütze uns und gebe uns Frieden!« murmelte sie weich.
Hatte ich wirklich einst geglaubt, daß ein Kind wie Jekaterina Iwanowna meine Stellung bedrohen könnte? Fast wollte ich lachen, wenn mir nicht so jämmerlich zumute gewesen wäre: Diese Frau, so wußte ich, sollte mir Leid bereiten.
8. Kapitel
Gott gab uns den Frieden, wenn auch erst nach den Wirren und Verzögerungen, die Maria Kantemir uns vorausgesagt hatte: Ulrica Eleonora, die den Thron von Schweden bestieg, wandte sich zunächst an England und Wien um Hilfe. Der englische Admiral Norris griff pflichtschuldig russische Bastionen am Ufer von Skåne an: Menschikow berichtete mit Tränen in den Augen vor Lachen, wie ein streunender Hund zu Tode getroffen wurde und eine banja in Flammen aufging. Dann, in dem Frühjahr, das auf Alexejs Tod folgte, begann der zweite Friedens-Kongreß von Åland.
Im April, in der Zeit der ottepel , die sonst auch das Eis in unseren Herzen schmelzen läßt und die unsere Seele mit der Lust auf das Leben füllt, bekam mein kleiner Sohn Fieber. Einen Tag, nachdem erste, tiefrote Flecken auf der Haut hinter seinen Ohren und an seinen Armen erschienen, verlor er das Bewußtsein. In einem stillen, verzweifelten Handel bot ich Gott alles, aber auch alles, was ich besaß und was er nur haben wollte, an: Nur meinen kleinen Sohn sollte er mir lassen. Ich hörte meine eigene Stimme flüstern: »Nimm mir Anna, mein Gott. Nimm mir Elisabeth. Nimm sie beide, aber laß mir meinen Sohn …«
Meine Ohren schämten sich nicht einmal der Worte, die sie hörten: So bitter ernst war es mir mit einem solchen Tausch. Der Anblick seines fieberheißen Körpers raubte mir die Sinne vor
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