Die Zarin (German Edition)
Beine, und die Schleifen auf seinen Schuhen ließen ihn wie einen Narren wirken. Dennoch: Peter Schafirow war ein gefährlicher und mächtiger Mann. Seine fünf Töchter hatten in die besten Familien des Landes geheiratet. Er selber hatte mit Menschikow verschiedene Geschäfte gemeinsam, doch die beiden waren auch eifersüchtige Rivalen. Er war mir stets freundlich gesonnen gewesen. Nun jedoch hatte ich gehört, daß er Maria Kantemir eine Kette aus Saphiren geschenkt hatte.
Schafirow zog sich einige Papiere aus dem Ärmel und trat auf unsere Empore zu. Peter ergriff meine Hand und zog mich zu meiner Überraschung auf meine Füße. Schafirow ging ächzend vor Schmerz vor uns auf seine Knie und begann zu lesen:
»Dank der ruhmhaften Taten des Zaren, seinem Mut in der Politik und im Krieg können wir heute den Frieden von Nystad im Haus Gottes feiern. Dank seinem unermüdlichen Schaffen haben wir die Dunkelheit und das Unwissen hinter uns gelassen. Rußland hat die Bühne der Ehre betreten und dort für immer seinen Platz gefunden. Mein Zar hat eine Welt aus dem Nichts geschaffen.«
Peters Finger klebten schweißfeucht an den meinen. Ich sah in die Menge, und mein Blick traf wieder das Gesicht von Alexander Danilowitsch. Er verstand mit einem Mal, daß hier etwas sehr Wichtiges geschah. Er verstand ebenso, daß es seinem Freund Peter Schafirow gelungen war, ihm die Rolle des Boten streitig zu machen. Seine Augen bohrten sich in Schafirows Rücken. Etwas hinter ihm entdeckte ich Maria Kantemir. Sie sah wunderschön aus in einem Mantel aus Zobel und ihrem Kleid aus tiefblauer Seide. Ihre Augen brannten auf Peters Gesicht. Um ihren Hals schimmerte sanft eine Reihe von Saphiren. Jeder der Steine war so groß wie ein Taubenei. Ich drückte meinen Rücken durch, der noch immer von der Geburt schmerzte, und ließ meinen Blick weit über die Menge hinwegschweifen.
Schafirow räusperte sich und fuhr fort: »Deshalb nimmt der Senat sich die Freiheit, den Zaren um die Annahme des Kaisertitels zu bitten. Zar Peter, werde Peter der Erste, Kaiser von Rußland! Zar Peter, werde Peter der Große, Vater Deines Landes, Kaiser aller Russen!«
Seine letzten Worte wurden vom Jubel in der Kirche verschluckt, die Musik brauste auf, und Feofan schlug das Kreuz über Peter, der mit Schafirow den Friedenskuß austauschte. Ich beobachtete, wie Peter den Kopf schüttelte. Er war offensichtlich glücklich und stolz: Dennoch bemühte er sich, auch überrascht und fast beschämt zu wirken. Schließlich jedoch hob er die Hand. Schweigen senkte sich wieder über die Kirche. »Ich kann nicht anders, als diese Ehre, die Land und Senat mir antragen, anzunehmen. An alle meine Untertanen: Habt Dank für die ruhelose Mühe, mit welcher Ihr mich in all meinen Werken und Plänen unterstützt habt!« sagte er.
Schafirow hob den Arm, und seine Stimme gellte durch die Kirche: »Der Kaiser und die Zarin von Rußland, sie leben hoch, hoch, hoch!«
Die Menge erhob sich aus den Bänken, und die Hochrufe hallten durch die Kirche, hinaus durch die offenen Tore, über den Platz bis hin zu den Wellen der Newa, wo sie sich zwischen den Freudenböllern der Peter-und-Pauls-Fe stung und den Salven von Hunderten von Schiffskanonen verloren.
Ich war Zarin von Rußland. Imperatriza.
Die Frau im Spiegel aber schien nicht zu verstehen. Sie sah so gepeinigt aus! Wirklich, nicht anders als eine entflohene Strafgefangene, die nur im Schatten der Nacht wandert und sich tagsüber im Gestrüpp der Wälder versteckt hält. Ihre Haut war fahl, als sähe sie die Sonne nie. Ihr Haar war von grauen Strähnen durchzogen, die sich nicht mehr vollständig mit Henna und Eichensaft abdecken ließen. Ihre Augen waren rotgeädert und verschwanden fast unter vom Weinen geschwollenen Lidern und Tränensäcken. In ihrem Kopf konnten sich Glück und tiefste Verzweiflung so rasch und unmittelbar abwechseln, wie sich der sonnige Himmel von Sankt Petersburg im April mit Sturmwolken überzieht. Mal war ihr so kalt, daß sie sich in all ihre Pelze hüllen wollte. Es war ein eisiger Zug, der von ihrem Herzen zu kommen schien und der ihr das Blut in den Adern gefrieren ließ. Mal überfielen sie Hitzewellen, die ihr in ihrer Heftigkeit den Atem und jeden klaren Gedanken raubten.
In den Wochen nach den Feiern von Nystad begann die Newa unmerklich zu steigen. Erst reichten ihre Wasser nur bis an die Stufen der Anlegestellen. Dann schluckte es die ersten Ufersteine. Am folgenden Morgen
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