Die Zarin (German Edition)
heißen Brei herum, ein echter Diplomat!
Wolynskis Gesicht wurde ernst. »Es ist wahr, daß russische Handelsstationen überfallen und gebrandschatzt wurden. Das gesamte Land ist in Aufruhr – ich bin froh, mit heiler Haut über die Grenze gekommen zu sein. Der Schah von Persien wurde gestürzt …«
»Was!« Peter sprang auf. »Und weshalb sagst du das nicht gleich!« schrie er und fuhr Wolynski zwei Male mit seiner Knute über die Arme. Die Seide an seinem persischen Übermantel riß, und Blut trat aus der Wunde in seiner weißen Haut. »Wer hat ihn gestürzt? Und wann? Was weißt du? Sag schon!« fuhr er ihn an. Wolynski zuckte nicht unter den Schlägen. »Afghanische Rebellen, mein Kaiser, haben Isfahan besetzt und führen dort ein Regiment des Schrek kens. Sie brandschatzen, plündern, schänden und morden. Ihre Sitten breiten sich über das Land aus, und niemand will mehr wissen, was Recht oder Unrecht ist …«
Er machte eine kleine, wohl gewählte Pause. Ich konnte förmlich sehen, wie es in Peters Kopf arbeitete. Durch Persien gelangte man nach Indien und damit an unbegrenzten Reichtum, so hatte er mir einst erklärt: Gold, Silber, Kupfer, Blei, Öle, Farben, Kaschmirwolle, Seide, Früchte und Gewürze wurden auf lange Barken verladen und trieben dem Westen zu, wo sie mit Gold aufgewogen wurden. Wolynski wartete ebenfalls ab, bis Peter zuende gedacht hatte. Ich wußte, was Peter und auch er selber wußten: Er war kein schlechter, fauler Gesandter. Im Gegenteil: Auf welch bessere Lage konnte Rußland hoffen, um das Nachbarreich im Osten anzugreifen? Das verstand sogar ich.
Peter strich sich über den Schnurrbart und begann wieder zu lachen. »Du hattest die Schläge wahrlich nicht verdient, mein treuer Wolynski. Nimm sie als Zeichen meiner Liebe. Das nächste Mal, wenn du Unsinn machst und ich dich züchtigen will, sag mir einfach, das sei schon geschehen!« Er zögerte kurz. »Wie unruhig ist die Lage? Wo liegen die Rebellen? Nur in Isfahan oder über das ganze Land verteilt? Ich will ganz sicher sein, nicht noch einmal eine solche Schlappe wie mit dem verfluchten Khan von Chiwa zu erleben.«
Wolynski bekreuzigte sich mit drei Fingern bei der Erinnerung an die unglückliche Reise des Prinzen Alexander Berkowitsch-Tscherkasski vor einigen Jahren. Mit Hilfe des Khan von Chiwa sollte am Kaspischen Meer eine russische Festung errichtet werden. Zuvor jedoch sollte Tscherkasski den Fluß, der dort in das Meer mündete, umleiten und Tonnen von Gold fördern. Der Khan von Chiwa verriet uns. Tscherkasski und seine Männer wurden innerhalb der Stadtmauern niedergemetzelt. Sein Kopf wurde als Geschenk an den Emir von Buchara gesandt. Sein Körper baumelte von den Stadtmauern von Chiwa, wo der heiße Wind der Steppe und die brennende Sonne ihn langsam austrockneten. Die Augen der Prinzessin Tscherkasski tränten seit jenem Jahr ohne Unterlaß, und sie trug nur noch Schwarz: Keine Drohung von Seiten des Zaren konnte die würdige Frau dazu bringen, die Farbe der Trauer abzulegen. Ich wandte meine Aufmerksamkeit wieder dem Senat zu.
Einige Fliegen brummten unter der hohen, gewölbten Decke des Ratsraumes. Seit Tagen hatte es keinen Wind mehr über der Stadt gegeben: Peter hatte bei seinen Seespielen gestern die Schiffe an Tauen schleppen lassen. Die Wasser der Newa waren von einer schlickigen, mürrischen Farbe. Diese Hitze der frühen Sommermonate bedrohte das ganze Land nach den starken Regen des Frühjahrs mit einer weiteren Mißernte. Die Sonne leckte die Teiche und Flüsse trocken und brannte das Moos von den Steinen in den nun kahlen Wäldern. Rußland stand eine Hungersnot bevor.
Die Männer im Senat schwitzten unter der Hitze der Junisonne, die durch die bunten Glasscheiben des Saales fiel. Sie hätten wohl lieber in den Armen ihrer Geliebten gelegen oder wollten in den Gärten ihrer Datschas lustwandeln. Doch nach Peters Ansicht erlaubte der Dienst am Reich keine Sommerpause: Einen Monat, nachdem Wolynski vor dem Senat gesprochen hatte, erklärte Rußland Persien den Krieg.
Ich war erleichtert: Der Feldzug würde mir erlauben, der von Geheimnissen und Kabalen vergifteten Luft von Sankt Petersburg zu entkommen. Zudem hatten Peter und ich unter dem freien Himmel und auf den harten Pritschen der Zelte immer wieder zueinandergefunden. Blumentrost hin oder her: Ich wollte versuchen, ein dreizehntes Mal zu empfangen. Ich ließ mit frohem Herzen meine Truhen packen und spürte bereits den trockenen Wind in
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